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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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schlage ich zurück.«
    In Claudius’ schwarzen Augen schien ein kaltes Feuer zu lodern, doch ehe die Flammen Caspar zu verzehren drohten, trat ein Dritter dazwischen.
    »Nicht doch, nicht doch!«
    Seine Stimme war samtig und weich und hatte doch zugleich einen rauen Unterton. Beschwichtigend war sie, einnehmend – und verführerisch. Während sie bei Claudius ein stolzes Lächeln hervorrief, versagte bei Caspar jedoch ihre Wirkung. Sein Halbbruder rief bei ihm vor allem Neid hervor.
    César. Der sich nicht Kranichstein nannte, sondern de la Grue. Das bedeutete Kranich auf Französisch. Und er lebte in Frankreich, genauer gesagt in Paris, in einer luxuriösen Wohnung auf der Insel Saint-Louis neben der Ile-de-la-Cité. Dort erfreute er sich nicht nur einer überaus geschmackvollen Einrichtung, wie Caspar wusste, sondern auch schöner Frauen, die er dort empfing. Mit dieser samtig rauen Stimme hatte er so viele dieser Frauen verführt und mit ihnen Kinder gezeugt wie kaum ein Nephil vor ihm.
    Sosehr Caspar das dreiste Selbstbewusstsein verärgerte, mit dem César dachte, ein von ihm gerauntes Wort könnte den uralten Zwist zwischen Vater und Sohn vergessen machen – so verstand er doch, warum es diesem so leicht gelang, nicht nur Nephilim, sondern auch Menschen für sich einzunehmen. Nicht nur von seiner Stimme ging etwas Widersprüchliches aus – etwas gleichzeitig Elektrisierendes und Beruhigendes –, sondern auch von seinem Äußeren. In Césars Gegenwart empfand Caspar seinen Vater, aber auch sich selbst als tot und welk. Das Funkeln in Césars Augen war zugleich gefährlich und unwiderstehlich. Die Art, wie er seine langen, schwarzen, glänzenden Haare zu einem langen Zopf im Nacken band, war zugleich elegant und verrückt. Seine Kleidung wirkte ebenso erlesen wie dekadent. Man wusste nicht gleich, woran man bei ihm war – und das machte neugierig.
    »Könnt ihr nicht endlich Frieden schließen?«, fuhr er raunend fort und erhob halb gelangweilt, halb entnervt seine Hände – eine wohleinstudierte, aber irgendwie auch künstlich anmutende Geste, wie Caspar fand. Doch sie bewog Claudius tatsächlich, von Caspar abzulassen.
    »Du hast recht«, knurrte er, »eigentlich habe ich keine Zeit, mich mit dir abzugeben, Caspar.«
    »Und warum bist du dann hier?«, fragte Caspar. Er hätte nie gewagt, Claudius die Tür zu weisen, doch dass er sich nun auf seinem weißen Ledersofa breitmachte, tat ihm fast körperlich weh. César lehnte sich hingegen lässig an das weiße Klavier, das seit so vielen Jahren weder gestimmt noch gespielt worden war. Caspar war sein Anwesen fremd vorgekommen, als er es eben nach langen Jahren wieder betreten hatte. Doch die Gegenwart von Vater und Halbbruder machte es zu seinem Heim, das er mit aller Macht vor ihnen schützen wollte. Er wusste nur noch nicht, wie – zumal er insgeheim auch froh über ihr Kommen war, befreite es ihn doch davon, selbst Entscheidungen zu treffen.
    Claudius antwortete nicht auf seine Frage, sondern stellte mürrisch fest: »Ich verstehe einfach nicht, wie du sie gehen lassen konntest, wenn du doch wusstest, dass das Kind noch lebt.«
    Ehe Caspar antworten konnte, kam ihm César zuvor. »Ach was!«, rief er – im Vergleich zu Claudius über die ganze Angelegenheit eher belustigt als verärgert. »Sollen sie sich doch in Sicherheit wiegen, das wird uns noch von Vorteil sein! Ich bin mir sicher, Cara geht mit ihnen nach Paris. Ich habe sie dort all die letzten Jahre heimlich beobachten lassen. Mein leichtgläubiges Schwesterlein hat keine Ahnung, wie nah ich ihr manchmal gekommen bin … ihr und diesen anderen Wächtern …«
    Er spuckte das Wort förmlich aus. César genoss alle Annehmlichkeiten, die das Leben der Menschen ihm zu bieten hatte, und im Zweifelsfall lag er lieber mit einer schönen Frau zwischen seidenen, duftenden Laken, als mit seinem Schwert zu kämpfen. Doch sein Hass auf alle Wächter stand dem der anderen Schlangensöhne in nichts nach.
    »Cara muss bestraft werden!«, dröhnte Claudius. »Dafür, dass sie Caspar fast getötet hätte! Und vor allem dafür, dass sie gemeinsame Sache mit Nathanael Grigori macht und selbst zu einer Wächterin geworden ist. Widerwärtig!«
    César schmunzelte, aber das Lächeln erreichte seine Augen nicht.
    »Das ist nicht die dringlichste Aufgabe«, schaltete sich Caspar ein.
    Das Lächeln schwand von Césars Lippen. »Da hast du allerdings recht. Ich würde unserem Schwesterlein gerne so bald wie möglich

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