Der Fluch der bösen Tat
Die Presse ist auf dem Weg. Der Zeitplan stimmt.«
Der Chef des Restaurants kam heraus und stand vor dem Pavillon.
»Na, und jetzt?« fragte er.
»Ihre Gäste sind in einer halben Stunde hier. Die Pressekonferenz beginnt in einer Stunde.«
»Wir sind bereit. Wollen Sie in der Zeit eine Tasse Kaffee?«
»Danke, sehr gern«, sagte John.
Per würde Sara in einem Auto mit getönten Scheiben von Tagesens Wohnung in der Innenstadt zum Kai am Eigtved-Lagerhaus bringen, wo das dänische Außenministerium liegt. Dort warteten Jon und sein Matrose mit der White Whale. John schaute auf seine Uhr. Dann würde Per Sara in die geschlossene Kajüte führen, wo die Gardinen vorgezogen waren. Dann käme Tagesen, und sie würden in Richtung Flakfort aufbrechen. Sie würden ihn anrufen, wenn sie auf dem Weg waren. Für eine Tasse Kaffee war Zeit. Alles lief wie geplant. Sogar das Wetter spielte mit. Leicht bewölkt mit blasser Sonne, am Horizont über Schweden türmten sich freilich bereits die schwarzen Wolken. Wie vorhergesagt würde es wohl am Nachmittag regnen und der Wind zunehmen, aber dann war zumindest diese Hürde schon genommen.
Die M/S Langø steuerte den Hafen des Flakforts an. Die Kameraleute waren schon seit einer Weile beschäftigt gewesen. Es war ein wunderbares Bild, wie das Flakfort beim Näherkommen langsam aus dem Öresund emporwuchs. Und dann die Scharfschützen auf der Spitze des Forts mit dem Himmel als dramatischem Hintergrund. Die dicken schwarzen Wolken am Horizont, die grünen Böschungen des Forts und die groben Feldsteine des soliden Mauerwerks. Bessere Bilder konnte man sich gar nicht wünschen.
Peter Sørensen sah zu Lise hinüber.
»Sehr fernsehtauglich, Lise. Ist das extra für uns?«
»Es ist auch ein sicherer Ort«, antwortete sie. Sie hatte auf viele Fragen antworten müssen, auch zur Geschichte der Insel. Daran waren vor allem die ausländischen Journalisten interessiert, und für ihre Trauer hatte sie gar keine Zeit gehabt oder sie jedenfalls irgendwo in ihr tiefstes Inneres abgeschoben. Sie wußte, daß sie wieder an die Oberfläche steigen würde, aber sie würde nicht zusammenbrechen.
»Hat Janos mit der Sache hier zu tun?« fragte Peter.
»Warum fragst du danach?«
»Du kannst die Katze ruhig aus dem Sack lassen, Lise.«
»Ich verstehe nicht, warum du danach fragst«, sagte sie und merkte, wie ihre Stimme ein wenig zitterte, weil ihr der Gedanke an Janos die gräßlichen Bilder wieder ins Bewußtsein rief.
Sie wurde von einem Reuter-Reporter erlöst, der wissen wollte, wem das alte Militärtort gehörte und ob es im Krieg eine Rolle gespielt hatte. Sie fing an zu erklären und spürte dabei Peters skeptischen Blick im Nacken. Sie legten an und gingen an Land. Als sich die Journalisten und Fotografen ein wenig zerstreuten, suchte sie rasch das Weite. Einige holten sich ein Bier im Restaurant, andere machten Fotos, während sie warteten. John beobachtete sie. Hier gab es nichts zu tun. Sie waren überprüft, und ihnen zu verbieten herumzulaufen, wäre ohnehin umsonst. Aber der Vorteil am Flakfort war ja, daß man genau wußte, wer sich auf der Insel befand, und daß keiner hinzukommen konnte, ohne entdeckt zu werden.
Vuk hörte jemanden auf dem Gang vor dem Zimmer des Kochs und stand auf. Er holte den Notizblock aus der Tasche, verließ den Raum und ging auf die Toilette. Er schloß sich ein und wartete, bis er eine laute Stimme hörte, die rief: »Sie kommt. Ihr Boot fährt ein.«
Er hörte schnelle Schritte auf dem Gang, verließ die Toilette und ging drei Männern und einer Frau hinterher, die eilig vor ihm herliefen. Er kam aus einem der Haupteingänge heraus und sah, wie Journalisten und Fotografen am Kai zusammenströmten und drängelten und schubsten, um den besten Platz zu erwischen. Sie kamen aus dem Restaurant, von den Befestigungsanlagen oder vom Kiosk, wo sie sich die Wartezeit damit vertrieben hatten, in Broschüren zu blättern. Das Schiff, das langsam in den Hafen steuerte, war ein niedriges, schönes braunes Motorboot aus Holz, und oben drauf stand der Käptn und betrachtete die Szenerie auf dem grasbewachsenen Kai. Vuk sah das Ziel aus der Kajüte treten. Es stand zwischen zwei Männern. Der eine mit der Windjacke sah aus wie ein Leibwächter. Der andere war im Anzug und mußte eine Art Gastgeber sein. Vuks Mund war ein bißchen trocken, und sein Herz pochte etwas schneller. Aber das war in Ordnung. Adrenalin war unentbehrlich. Er war bereit.
22
TAGESEN STAND
Weitere Kostenlose Bücher