Der Fluch der Druidin
bemerkten ihn, zögerten kurz angesichts der römischen Tunika unter den hellen Haaren. Aus dem Grinsen ihres Königs schlossen sie jedoch, dass Boiorix offenbar keine Gefahr drohte. So wandten sie sich der Aufgabe zu, den Halbkreis um ihren Herrscher herum im ausbrechenden Chaos aufrechtzuerhalten. Nur ein einziger der älteren Fürsten ließ sich nicht ablenken. Er blinzelte, starrte Atharic ein zweites Mal an, rieb sich gar die Augen. Schon hob er eine Hand, um die anderen auf Atharic aufmerksam zu machen, da rannte ein flüchtender Fußkämpfer in sein Pferd hinein. Das Tier scheute, bäumte sich auf, und der Fürst wurde abgeworfen. Es knackte, als sein Fußknöchel brach. Rascil war die Einzige, die ihre kalten Augen einen Moment lang auf ihn richtete, dann die Achseln zuckte, weil sie sein schmerzheiseres Rufen und Gestikulieren nicht verstand. Stattdessen richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf eine Bewegung am Waldesrand. Ein weiterer unerwarteter Reiter war dort aufgetaucht. Rascil begann zu lachen.
Atharic war neben Nando in die Knie gegangen. Vage war ihm bewusst, dass Boiorix nur vier Schritte entfernt stand, kaum verändert in den zehn Jahren, seit sie in Feindschaft voneinander geschieden waren. Leben floss aus Nandos Seite, ein steter dunkler Strom, den Atharics Finger nicht zu stoppen vermochten. Nandos Kopf bewegte sich unter dem Druck seiner Hände, wandte sich dem Vater zu, bis die grauen Augen ihn fanden. Atharic verstärkte den Druck auf die gezackte Wunde, während er sich verzweifelt nach etwas umsah, was ihm helfen konnte. Sein Blick streifte eine weißgewandete Priesterin in der Nähe, aber deren Gesichtsausdruck zeigte nichts als grausame, erwartungsvolle Ekstase.
»Bleib ruhig!«, drängte er seinen Sohn mit belegter Stimme. »Beweg dich nicht! Wir schaffen das!«
Seine eigene Qual schien Nandos zu lindern, denn es schien fast, als ob er ein Lächeln probierte. Seine Fingerspitzen berührten Atharics Schenkel. Er versuchte zu sprechen. Atharic griff in Nandos Nacken, um ihn zu stützen, aber als Nando endlich seine Stimme fand, war diese weder leise, noch brach sie. Eine einzige Forderung, fast schon ein Befehl: »Töte ihn für mich, Vater!«
Ein Klumpen Eis explodierte in Atharics Brust. Am Rande seines Gesichtsfelds hob Boiorix seine Waffe.
»Vater und Sohn«, triumphierte der Kimbernkönig, »an einem Tag! Was für ein wunderbares Geschenk der Götter!«
Atharics Rechte schloss sich um das Schwertheft; die Sehnen spannten sich. Die Linke dagegen strich noch einmal über die Schläfe seines Sohnes, fühlte das dichte blonde Haar, das einen Hauch heller war als sein eigenes. Nandos Mundwinkel hoben sich kaum merklich. Dann griff Boiorix an.
Atharics Aufschrei bohrte sich in Talia, als sie und Sumelis sich bereits verloren glaubten. Hinter ihnen näherten sich römische Legionen im Laufschritt: Marius’ Armee, die nun endlich das Schlachtfeld erreichte, um Catulus’ Truppen zu unterstützen. Vor ihnen tat sich ein lichtes Wäldchen auf, dahinter erahnten die beiden Frauen die langgezogene Schlachtlinie. Weder hatten sie eine Vorstellung davon, welche Richtung ihre Männer eingeschlagen hatten, noch, an welchem Ende der Kimbernkönig sich aufhalten mochte. Ihre Pferde waren erschöpft, und jetzt drohten sie zwischen den römischen Truppen, die aus dem Norden her vorstießen, den Kimbern und der zweiten Hälfte der römischen Armee eingeschlossen zu werden.
Talia hatte nach Sumelis’ Hand gegriffen, die zum wiederholten Male versuchte, ihre Gabe auszuschicken, sie über das Sterben und Kämpfen hinweg wie eine Decke zu breiten auf der Suche nach dem einen, den ihre Seele finden musste. Talia hatte versucht, Sumelis’ verschwommen wabernde Kraft bündeln zu helfen, ihr Form und Zweck zu verleihen, aber es war ihnen nicht gelungen. Beide hatten sich nur schaudernd von den roten Farben des Schreckens dieser Schlacht abgewandt, ohne einen Widerhall jener Seelen zu empfangen, die ihnen vertrauter waren als alle anderen. – Bis Atharics Verzweiflung ihre verschränkten Hände mit eiskalt loderndem Grauen überzog. Einen Atemzug lang saß Talia erstarrt auf ihrem Pferd, während sie dem Echo jenes Aufschreis nachspürte, vollkommen sicher, dass sie den Tod ihres Mannes gefühlt hatte. Aber dieses Wissen verblasste wenig später im vergeblichen Warten auf den Abschiedshauch seiner Seele, die auf dem Weg in die Andere Welt an ihr vorbeizog. Dafür sprachen Sumelis’ kalte Finger in
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