Der Fluch der Hebamme
genug für mich zu kämpfen gebe. Aber weißt du, was mich dorthin lockt – abgesehen von dem Gedanken, dass mir so vielleicht auch mein sündiges Verhältnis mit einer verheirateten Frau vergeben wird? Die Vorstellung, dass all diese Männer eine verschworene Gemeinschaft bilden für ihr heiliges Ziel! Dass sie wirklich zusammenstehen, statt sich wie Ottos Ritter hier zu streiten und gegenseitig zu bekriegen!«
Jetzt war es Roland, der lachte. »Fünfzehntausend Männer und keine Streitigkeiten um Ansehen, Rang und Beute?
Das
kann
ich
mir beim besten Willen nicht vorstellen!«
Thomas zog verächtlich die Augenbrauen hoch, bevor er seinem Hengst die Sporen gab. »Ganz gleich, was die Wallfahrer erwartet – schlimmer als hier kann es nirgendwo sein, wenn erst Albrecht Herr der Mark Meißen ist.«
Der alte Markgraf
L asst uns allein!«, befahl der Markgraf von Meißen barsch.
Sofort erstarrten sämtliche Bediensteten mitten in der Bewegung, um sich dann hastig vor dem Fürsten und seiner Gemahlin zu verneigen und so geräuschlos wie möglich aus der prachtvollsten Kammer des markgräflichen Palas zu huschen.
Otto von Wettin war noch nie ein geduldiger Mann gewesen. Und je älter er wurde und je stärker ihn die Gicht plagte, umso weniger ratsam war es, sich sein Missfallen zuzuziehen.
Hedwig, die Markgräfin, die auf einer der Fensterbänke saß, blickte von dem prachtvoll illuminierten Psalter auf, den sie in den Händen hielt. Trotz ihrer fast fünfzig Jahre war sie immer noch eine schöne Frau. Durch nichts ließ sie erkennen, dass der Befehl ihres Mannes sie verwunderte. Noch weniger ließ sie sich etwas von der Anspannung anmerken, die sie überkam, wenn sie über die Gründe für diesen Befehl nachsann. Es gab genug Angelegenheiten, die unter vier Augen zu bereden wären, und keine davon war erfreulich.
Sie zog sich den pelzverbrämten Umhang enger um die Schultern, der sie gegen die Kühle des Gemäuers schützte, und wartete.
In all den langen, endlos scheinenden Jahren ihrer Ehe hatte sie vor allem eines gelernt: ihren Gemahl behutsam zu lenken. Anfangs, indem sie seine Lust schürte, später allein durch ihren scharfen Verstand. Doch dabei musste sie bedacht vorgehen. Otto zu bedrängen, würde nur dazu führen, dass er in seinen schnell aufflammenden Wutausbrüchen das Gegenteil von dem tat, was gut für ihn und die Mark Meißen war.
Der Markgraf schwieg immer noch. Der Satz, das Eingeständnis, mit dem er dieses Gespräch würde eröffnen müssen, fiel ihm unendlich schwer. Doch er konnte es nicht länger hinauszögern.
Sein einst dunkles Haar war schlohweiß geworden, im Winter hatte er den letzten Zahn eingebüßt, die Gicht ließ jede Bewegung zur Qual werden. In jüngster Zeit verspürte er häufig übergroße Müdigkeit. War dies das Zeichen, dass der Herr ihn bald zu sich rufen würde?
Natürlich durfte er sich nichts davon anmerken lassen. Noch immer zitterte jedermann, wenn er nur die buschigen Augenbrauen zusammenzog und finster dreinblickte.
Er, Otto von Wettin, Markgraf von Meißen, einer der reichsten Fürsten landauf, landab!
Und den größten Teil seines Reichtums und seiner Macht hatte er nicht ererbt oder vom Kaiser zugesprochen bekommen wie die meisten anderen Herrscher, sondern durch kluges Handeln errungen.
Lediglich einen Teil des wettinischen Besitzes hatte ihm sein Vater hinterlassen, kaum bewohnt und überwiegend von Urwald bedeckt, in dem wilde Tiere und wer weiß welche unheimlichen Wesen sonst noch hausten.
Er, Otto, hatte es geschafft, aus dieser Einöde ein blühendes Land zu machen! Er hatte Siedler in die Mark geholt, die mit ihren Axtschlägen der Wildnis Stück um Stück abrangen, die rodeten und säten, die aus dem Urwald fruchtbare Äcker machten und Dörfer errichteten.
Aus Wohlgefallen über dieses mühselige Werk hatte der Allmächtige Herrscher im Himmel ihn und seine Mark Meißen auf besondere Art gesegnet: Er hatte Silber unter der Erde wachsen lassen, reich und rein, wie man zuvor noch keines gesehen hatte.
So dankbar Otto für diesen göttlichen Gunstbeweis war, so überzeugt war er auch, es sich als sein eigenes Verdienst anzurechnen, etwas daraus gemacht zu haben.
Selbstzufrieden ließ er die müden Augen über das Kleid seiner Frau streichen, das unter dem pelzverbrämten Umhang hervorblitzte: kostbare Seide aus dem Morgenland, mit farbenprächtigen Stickereien geschmückt. Das Schapel war aus getriebenem Silber, mit eingelegtem Gold und
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