Der Fluch der Hebamme
Reichtum lockte, sondern auch der Gedanke, dass der Wettinerfürst alt war und jeden Tag zu Gott gerufen werden konnte. Dann würde ein Hauen und Stechen um die Markgrafschaft einsetzen, wie es seinesgleichen suchen musste.
Das war eben der Alltag eines Herrschers. Nichts davon könnte sie beide überraschen oder gar erschrecken. Wenn man es wusste und in seine Überlegungen einbezog, ließen sich nützliche falsche Hinweise an den richtigen Stellen verbreiten.
Doch Hedwigs Befürchtungen drehten sich in diesem Moment um andere Lauscher: die Gewährsmänner ihres ältesten Sohnes Albrecht, der mit schlecht verhohlener Ungeduld auf den Tag wartete, an dem er die Herrschaft über die Mark Meißen übertragen bekam. Es war schon erstaunlich, dass der mittlerweile Dreißigjährige dem Schicksal noch nicht nachgeholfen hatte. Albrecht wähnte den Tag wohl nicht mehr fern, an dem sein Vater einsehen musste, dass ihm die Kraft zum Regieren fehlte, oder die Augen für immer schloss.
Beklommen ließ Hedwig noch einmal den Blick durch den Raum schweifen. Die Tür war weit genug entfernt von Ottos Stuhl, die Wände über und über mit prachtvollen Wandbehängen geschmückt, die vom Reichtum des Fürstenpaares kündeten. Zugleich dämpften sie die Geräusche und Stimmen innerhalb der steinernen Kammer.
Die Markgräfin erhob sich von ihrem Fensterplatz, legte den Psalter beiseite und schenkte sich und ihrem Mann Wein ein – eine großzügige Geste nicht nur angesichts des Dienstes, sondern vor allem, weil sie normalerweise wegen seiner Gichtanfälle darauf achtete, dass er wenig Wein trank.
Dann setzte sie sich wieder, nun an Ottos Seite. Sonst vermied sie körperliche Nähe zu ihrem Mann, weil sie die schon seit langem nicht mehr ertragen konnte. Diesmal jedoch überwand sie ihre Abneigung.
Niemand, aber auch wirklich niemand durfte sie belauschen. Hier ging es jetzt nicht nur um die Zukunft ihres Fürstenreichs, sondern womöglich auch um ihr Leben.
Dankbar trank Otto einen Schluck, dann sah er seiner Frau in die Augen und beugte sich ihr leicht entgegen. »Wir müssen verhindern, dass Albrecht das Land an sich reißt.«
Der Markgraf von Meißen flüsterte – etwas völlig Ungewohntes für einen Mann, der zeitlebens nur Befehle gebrüllt hatte, die umgehend befolgt worden waren.
»Ich wundere mich, dass er es nicht schon längst getan hat – mit ein paar Getreuen den Burgberg hinaufgeritten ist und mich gefangen gesetzt hat … oder Schlimmeres«, gestand Otto, als seine Gemahlin ihn mit einem Blick aufforderte, weiterzusprechen. »Zwar tut er so, als würde er sich damit zufriedengeben, zu regieren, wenn ich auf Reisen bin, und als habe er seit seiner Heirat keine dringlichere Sorge, als endlich einen Sohn zu bekommen. Aber neuerdings hat sein Blick so etwas Lauerndes … Er plant irgendetwas. Wir müssen ihm zuvorkommen!«
»Du kannst ihn heute noch in deinem Testament enterben und Dietrich die Markgrafschaft übertragen«, schlug Hedwig leise vor. »Tu es, bevor es zu spät ist! Deinen Letzten Willen darf er nicht missachten.«
Sie hätte Triumph fühlen müssen, Befriedigung oder zumindest Erleichterung. Seit Jahren hatte sie auf diesen Moment gewartet. Viel zu lange hatte Otto ihre Warnungen überhört und seinem Erstgeborenen alles nachgesehen – bis zu einem blutigen Zwischenfall in Christiansdorf, der ihm endlich die Augen öffnete. Albrecht schien das bemerkt zu haben, denn seitdem hatte er seine Boshaftigkeit gezügelt.
Doch weder Triumph noch Befriedigung wollte sich in diesem Augenblick bei Hedwig einstellen – nur Besorgnis, wie sie es schaffen sollten, sich gegen das Ungeheuer zu behaupten, das sie da herangezogen hatten.
»Das hieße, dir den Kampf zu überlassen, nachdem ich begraben bin«, meinte Otto mit einem fast vergessenen Gefühl der Fürsorglichkeit für seine Frau. »Das werde ich nicht tun. Er würde dich auf der Stelle ins nächstgelegene Kloster bringen lassen.«
Es war ein offenes Geheimnis auf dem Meißner Burgberg, dass der erstgeborene Sohn des alten Markgrafen seine Mutter hasste, weil sie seinen Bruder bevorzugte.
Otto ließ die Hand kraftlos auf den Tisch sinken und atmete rasselnd aus. »Nein, ich muss es noch zu Lebzeiten austragen. Lieber heute als morgen. Aber wie?«
Ratlos sah er seine Frau an und rieb sich das faltenzerfurchte Gesicht. »Soll ich zugunsten Dietrichs abdanken, mich in ein Kloster zurückziehen wie mein Vater? Ich verspüre kein Bedürfnis
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