Der Fluch der Maorifrau
umgekommen war. Inzwischen tippte man auf Mord, denn in ihren sterblichen Überresten konnten Spuren von Arsen festgestellt werden. Erst durch Zufall wurde eine Verbindung mit einer Vermissten hergestellt, die vor sieben Monaten aus einem Hotel in Auckland spurlos verschwunden war. Emma spürte beim Sichten der Unterlagen ein seltsames Ziehen im Magen, und was sie dort nun schwarz auf weiß lesen musste, ließ sie erzittern: Nach Angaben der Angestellten des Hotels Rotarua handelt es sich um eine junge Frau Mitte zwanzig, die durch ihren hohen Alkoholkonsum aufgefallen ist und im Rausch stets von ihrem Ehemann sprach, der nicht glauben solle, dass sie seine Hochzeit mit einer anderen dulden würde. Dabei wurde sie stets vulgär, sodass man ihr einige Male den Verkauf von Alkohol verweigerte. Merkwürdig ist, dass sie keinerlei Papiere bei sich trug und sich offensichtlich unter falschem Namen angemeldet hatte ...
Wie paralysiert starrte Emma auf diese Zeilen. Das Telefonat mit Harrys angeblich geschiedener Ehefrau war ihr dabei sofort eingefallen. Wenn es sich nun bei der Toten um seine Frau gehandelt hatte, war es dann nicht möglich, dass Harry ...? Emma mochte den Gedanken nicht zu Ende denken.
»Was ist denn das Gruseliges?«
Emma fuhr zusammen. »Das ist meine Arbeit!«, erwiderte sie Harry kühl und packte die Materialien hastig zusammen. Sie hatte plötzlich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, und beschloss, einen Strandspaziergang zu unternehmen. Sie sprang auf. Im selben Moment spürte sie einen höllischen Schmerz. Unwillkürlich schrie sie auf. Die Wehen hatten eingesetzt!
Mit Harrys Hilfe schaffte Emma es bis auf ihr Bett. Sie dachte an gar nichts mehr. Nur an das eine: Wann wird dieser schneidende Schmerz endlich aufhören? Sie weinte vor Erschöpfung und Glück, als sie Stunden später wie durch einen Nebel ein kräftiges Stimmchen brüllen hörte.
Die Geburt und die Stunden danach waren vorerst das Letzte, woran sich Emma später erinnern sollte.
Ocean Grove, im April 1963
Emma konnte im Nachhinein nicht genau sagen, wie viele Tage oder Wochen sie im Dämmerzustand verbracht hatte. Nur an den Augenblick des Erwachens erinnerte sie sich auch Jahre später in allen Einzelheiten. Es war früh am Morgen. Beim Aufwachen war sie plötzlich klar im Kopf. Sie versuchte sich krampfhaft an die letzten Tage zu erinnern.
Sie wusste, dass sie einem gesunden Jungen das Leben geschenkt hatte, und sie erinnerte sich an die sorgenvollen Blicke der Hebamme. Auch vereinzelte Gesprächsfetzen fielen ihr wieder ein.
»Wollen Sie Ihre Frau nicht lieber ins Krankenhaus bringen?«
»Nein, es ist nur eine Schwangerschaftsdepression. Das hat sie von ihrer Mutter geerbt. Das vergeht wieder.«
Und einmal hatte Emma ihren Mann angefleht, Frank zu holen, weil sie in einem halbwegs klaren Moment begriffen hatte, dass sie Harry hilflos ausgeliefert war. Doch der hatte nur den Kopf geschüttelt und ihr ein Glas mit Medizin gereicht.
Als Emma sich aufzurichten versuchte, hörte sie das Schreien ihres Babys. Ihr Mund war trocken. Die Zunge klebte am Gaumen, ihr war übel, aber trotzdem stand sie langsam auf. Dabei knickten ihr beinahe die Beine weg, aber sie schaffte es. Eine innere Stimme spornte sie an: Wenn du das nicht schaffst, bist du verloren!
Auf leisen Sohlen tappte sie den Flur entlang, immer dem Schreien ihres Kindes entgegen. Die Tür zu Harrys Zimmer war angelehnt, doch sie konnte durch den Türspalt sehen, was dort geschah. Das Schreien war verstummt. Harry hatte das Baby hochgehoben und gab ihm die Flasche. Dabei sprach er auf das kleine unschuldige Wesen ein.
»Wir brauchen keine Mama, was? Nein, so eine nicht. Wenn sie weg ist, dann holen wir uns eine neue. Was meinst du, was wir uns von dem Geld alles kaufen können? Autos, Häuser, Frauen. Und diese Bruchbude fackeln wir ab ...«
Emma wurde fast schwarz vor Augen, und mit allerletzter Kraft schleppte sie sich in ihr Bett zurück. Dort zermarterte sie sich das Hirn. Was konnte sie nur tun? Sie wusste nur eines sicher: Sie musste etwas unternehmen, bevor dieser Teufel auch sie vergiftet hatte. Wie diese Frau in Auckland, ihre Großmutter und ... Emma biss sich auf die Faust, um nicht laut aufzuschreien. Hunti! Warum war ich nur so blind?, fragte sie sich verzweifelt. Harry Holden hat sein Ziel, an Kates Erbe zu gelangen, nicht einen Moment lang aufgegeben, nur den Weg, den hat er geändert. Weil ich auf einer Scheidung bestanden habe, muss ich
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