Der Fluch der Maorifrau
Emma. »Bitte! Es ist wichtig! Unter vier Augen!«
Emma war hin- und hergerissen. Was konnte so wichtig sein, dass es nicht Zeit bis nächste Woche hatte? Aber Franks flehender Blick überzeugte sie. Sie folgte ihm auf den Flur hinaus.
»Frank, was gibt es denn?«
Er wand sich ein wenig. »Ich will dich nicht beunruhigen, aber ich habe Zweifel, ob der Tod deiner Großmutter wirklich auf ihr schwaches Herz zurückzuführen ist.«
»Wie meinst du das?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: Es ist untypisch für einen Herzanfall im Schlaf, dass der Patient so krampft!«
»Was schlägst du vor?«
Frank seufzte tief, bevor er leise erwiderte: »Eine Autopsie!«
»Das ist doch nicht dein Ernst! Du willst sie aufschneiden lassen, weil du Zweifel hast? Was soll denn passiert sein? Soll ich sie vielleicht umgebracht haben? Es war doch sonst keiner im Haus außer mir!«
»Und er?« Frank zeigte in Richtung Salon.
»Frank, bitte! Ich weiß, dass ich dir einmal viel bedeutet habe, aber das geht entschieden zu weit. Harry mag ein Schuft sein, aber er ist kein Mörder. Ich will nicht, dass sie aufgeschnitten wird! Das hat sie nicht verdient. Gib sie zur Beerdigung frei. Bitte!«
Scharen von Menschen kamen zu Kates Beerdigung, ein kleiner Trost für Emma, die nachher nicht zu sagen wusste, wie sie die Zeremonie überstanden hatte. Harry war die ganze Zeit über nicht von ihrer Seite gewichen. Er hatte sie sogar um einen Neuanfang gebeten, aber Emma war hart geblieben. »Lass uns Freunde sein! Aber deine Frau kann ich nicht bleiben, nach allem, was geschehen ist! Die Scheidung ist unumgänglich!«, hatte sie auf sein Angebot erwidert.
Harry hatte es, ohne zu murren, akzeptiert.
Als sie nun an diesem unangenehmen Wintertag, an dem der Schnee über Nacht geschmolzen war und sich in Schneeregen verwandelt hatte, den Friedhof verließen, erklärte Harry: »Sei mir nicht böse, aber ich mag dich jetzt nicht allein lassen. Der Tod deiner Großmutter und deine Schwangerschaft, das ist alles ein wenig viel. Meinst du nicht auch? Ich sehe doch, wie schlecht es dir geht. Also, ich würde dir als Wiedergutmachung für alles, was ich dir angetan habe, anbieten, dir zur Seite zu stehen, bis das Kind da ist. Dann habe ich es wenigstens einmal gesehen, bevor ich zurück nach London gehe.«
Emma dachte nach. Das Angebot klang verlockend, und es würde ihr eine Sorge nehmen. Seit dem Tod ihrer Großmutter litt sie unter lähmenden Angstgefühlen. Besonders nachts kamen sie wie von Geisterhand angeflogen und setzten sich schwer auf ihre Seele. Jedes noch so kleine Geräusch ließ sie panisch zusammenschrecken. Da konnte ein Beschützer nur von Vorteil sein, der sie zwar nicht von ihrem Albdruck befreien, aber da sein würde, wenn sie von ihrem eigenen Schreien erwachte.
Ocean Grove, März 1963
Emmas Schwangerschaft verlief problemlos. Emma hatte mit der Redaktion vereinbart, bis zur Niederkunft von zu Hause aus zu arbeiten, und Harry war ihr bei allem eine echte Stütze. Die Angstattacken und Albträume waren seltener geworden. Der einzige Wermutstropfen außer ihrer Trauer um Kate war Huntis plötzlicher Tod. Kurz nachdem sie in das Haus der Pakeha gezogen waren, hatte Emma das arme Tier eines Tages leblos mit Schaum vor dem Mund im Garten gefunden. Sie war außer sich vor Schmerz gewesen, und selbst Harry, den das Tier bis zuletzt angeknurrt hatte, wirkte sichtlich betroffen. Er wusste auch gleich, was Hunti widerfahren war.
»Das war Rattengift!«, stellte er angeekelt fest, als er sich den Kadaver ansah.
Emma begrub Hunti im Garten und weinte tagelang. Das lag nun schon fast sieben Monate zurück. Inzwischen war Emmas Schwangerschaft nicht mehr zu übersehen, und Emma rechnete täglich mit den Wehen. Sie wollte ihr Kind unbedingt in Pakeha zur Welt bringen. Die zuständige Hebamme hatte nichts gegen eine Hausgeburt einzuwenden.
Dennoch fuhr Emma gegen Harrys ausdrücklichen Rat wie jeden zweiten Morgen auch heute in die Redaktion, um sich Arbeit zu holen.
Sie sollte über einen Mord in Auckland berichten. Mit den Unterlagen in der Tasche kehrte sie gegen Mittag nach Pakeha zurück und sichtete das Material. Allein beim Lesen wurde ihr übel. Die Leiche einer weißen Frau war durch Zufall von einer Gruppe Maori, die nördlich von Auckland durch den Waipoua-Wald gepilgert war, unter einem riesigen Kauri-Baum gefunden worden. Lange hatte man weder Hinweise auf die Identität der Frau gehabt noch eine Idee, wie sie
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