Der Fluch der Schriftrollen
aussetzen,
Ben, du machst dich krank!« Der Klang ihrer Stimme ließ ihn aufhören zu
zittern. Er wandte sich zu ihr um und schaute sie auf höchst seltsame Weise an.
»Judy«, flüsterte er. Dann fiel er auf seinen Stuhl zurück und verbarg sein
Gesicht in den Händen.
Judy kniete vor ihm und
wischte ihm den Schweiß ab, der ihm von Gesicht und Nacken strömte. Auch sie
selbst war schwach, blaß und erschöpft. Zusammen hatten sie das Martyrium
Jerusalems miterlebt.
»Judy…«, murmelte er in seine
Hände. »Ich erinnere mich daran. Ich erinnere mich an alles.«
»Du erinnerst dich woran?«
Schließlich blickte er zu ihr
auf. Seine Augen waren von einem eisigen Blau und voller Verwunderung. »Ich
erinnere mich daran, daß ich dachte, ich sei David. Ich erinnere mich daran,
daß ich wirklich David war. O Gott, was ist nur mit mir geschehen? Was ist mit
uns geschehen?«
Ihre Lippen bewegten sich,
doch sie brachte kein Wort heraus. Dann, nach einem langen Stillschweigen,
meinte Ben ein wenig traurig: »Es ist alles vorbei. David ist weggegangen.«
»O Ben…« Sie zitterte vor
Erleichterung.
»Ich weiß nicht, woran ich es
erkenne, aber ich erkenne es. Ich kann es dir nicht erklären. Vielleicht werden
wir eines schönen Tages das Rätsel lösen. Ich frage mich…« Ben ergriff ihre
Hände und schaute ihr lange in die Augen. »Welche Rolle spieltest du dabei,
Judy? Wäre das alles geschehen, wenn ich dich nicht getroffen hätte? Warst du
die Ursache dafür oder nur ein Katalysator?«
Sie blickte erstaunt zu ihm
auf. Jetzt waren sie wieder am Ausgangspunkt angelangt, wo sie vor vier Wochen
begonnen hatten.
»Ist David je wirklich hier
gewesen?« murmelte Ben. »Oder war ich es die ganze Zeit? Aber diese
merkwürdigen Übereinstimmungen…« Er nahm Judys Gesicht in seine Hände, küßte
ihren Mund und flüsterte: »Ich liebe dich.« Sie lächelte und erwiderte seinen
Kuß.
»Ich möchte das herausfinden,
Judy. Ich will verstehen, was passiert ist. Später setzen wir uns hin und gehen
die ganzen Rollen noch einmal durch. Dann werden wir sehen, ob wir nicht
irgendeinen Anhaltspunkt, irgendeinen Schlüssel zu dem Ganzen finden. Ich… ich
bin nicht mehr derselbe Mensch wie früher. David hat mich verändert. Meinst du,
daß es irgendwann ohnehin passiert wäre…?«
»Ich weiß es nicht, Ben.«
»Ich muß noch einmal ganz von
vorn anfangen, um zu mir selbst zu finden, Judy. Aber diesmal kannst du mir
dabei helfen.« Er küßte sie abermals sehnsüchtig. »Und nun… gibt es noch ein
wenig mehr zu lesen. Und dann…«
»Und dann?«
»Dann können wir eine
ordentliche Übersetzung tippen und sie Weatherby schicken. Die Ereignisse
werden sich bald überstürzen, und dann wollen wir vorbereitet sein. Komm, laß
uns jetzt sehen, was Davids letzte Worte waren.« So lasen sie gemeinsam die
letzten Zeilen des letzten Teilstücks.
Jetzt, da ich Jonathan die
Geschichte persönlich erzählt habe, kann ich mich nicht dazu überwinden, diese
Schriftrollen zu zerstören oder den Papyrus rein zu waschen, denn sie sind noch
immer ein Teil von mir und noch immer mein Vermächtnis. Doch an wen? An
künftige Generationen?
Und ebenso, wie ich meine
ersten zwölf Schriftrollen sicher verwahrt habe, werde ich nun auch diese
letzte verpacken und sie zusammen mit den übrigen sorgfältig verbergen. Und
wenn ein Jude sie eines fernen Tages finden sollte, ist er im Grunde nicht auch
mein Sohn?
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