Der Fluch vom Valle della Luna
hat nie was auf die Reihe bekommen. Sie ist in ihrem Elternhaus geblieben und kümmert sich um die Mutter Lorenza, die seit ein paar Jahren bettlägerig ist. Schlaganfall, glaub ich.«
Wieder senkte sich die bleierne Langeweile wie ein dichter grauer Nebel auf Nelly herab. Hoffen wir mal, dass das irgendwo hinführt und nicht ewig so weitergeht.
»Aber eigentlich wollte ich mit dir über Anselmo den Anwalt reden. Nach dem Sturz liegt er im Koma. Es ist ein Wunder, dass er noch am Leben ist, leider sind die Chancen, dass er wieder aufwacht, den Ärzten zufolge gleich null.«
»Wir sind noch dabei, den Fall zu prüfen. Wenn ich nicht irre, hatte der Hausmeister die Eingebung, sofort die Kripo zu rufen, dadurch haben die einen intakten Schauplatz vorgefunden und können rekonstruieren, was passiert ist. Ob es sich um einen Unfall oder womöglich um Mord handelt. Mein Kollege Rivelli, Paolo Rivelli, kümmert sich drum.«
»Ja, ich weiß. Marilena hat’s mir gesagt, sie hat mich gestern angerufen. Wir haben uns seit den Familientreffen in unserer Jugend nicht mehr gesehen, auch wenn wir regelmäßig zu Ostern und Weihnachten telefonieren. Sie klang ziemlich nervös. Sie weiß, dass ich Journalistin bin und die ganze Stadt kenne. Und auch, dass Mord und Totschlag in mein Ressort fallen. Sie wollte meine Meinung hören, wissen, ob ich jemanden bei der Polizei kenne.«
Komm schon, Sa, spuck’s aus, bevor ich einschlafe.
»Vor etwa einem Monat haben sie Drohbriefe bekommen. Das sind die Fotokopien.«
Sandra zog eine Papierrolle aus ihrer braunen Krokotasche, blickte sich verstohlen um und rollte sie auf dem Tisch aus. An den umliegenden Tischen wurde geplaudert, gelacht, gestritten, und alle waren mit sich beschäftigt. Niemand scherte sich um die beiden verschwörerisch dreinblickenden Fortysomethings. Nelly besah sich die Briefe: klassische Drohbriefe, zusammengeklebt aus verschiedenen Zeitungsbuchstaben. Immer die gleichen Worte: »Schweine. Das werdet ihr büßen.«
»Nicht gerade originell.«
»Stimmt. Der oder die hat wohl keine besonders sprühende Phantasie. Als meine Verwandten sie vor einem Monat bekommen haben, hielten sie es für einen schlechten Scherz. Die Briefe sind an Lorenza geschickt worden, die Cousine meiner Mutter. Und an die Adressen sämtlicher Kinder.«
»Aber warte mal, dein Cousin ist doch Anwalt, oder? Was hat der dazu gesagt?«
Sandra kniff die Lippen zusammen, und ihre großen dunklen Augen blickten Nelly besorgt an.
»Er hat darüber gelacht. Ist ja auch keine besonders dolle Drohung. Nichtssagend. Wenn eine Patrone oder so was im Umschlag gelegen hätte, irgendwas Konkretes, dann ...«
Langsam erwachte Nelly aus ihrem Halbschlaf. Ein leises Kribbeln machte sich in ihren Fingern und Zehen bemerkbar, doch es war schwer zu sagen, ob es an der verspannten Haltung lag, in der sie die letzten Minuten verharrt hatte, oder ob es doch dieses merkwürdige Gefühl war, das sie immer überfiel, wenn ihr etwas ohne triftigen Grund verdächtig vorkam.
»Was hältst du davon, Nelly? Glaubst du, zwischen dem Unfall und diesen beknackten Briefen könnte es einen Zusammenhang geben?«
Bin ich etwa eine Wahrsagerin oder was? Sie trommelte mit den Fingerspitzen auf die Blätter, die stumpf die immer gleiche vage Drohung wiederholten.
»Schwer zu sagen. Alle Familienmitglieder haben sie bekommen? Wirklich alle?«
»Ja, Anselmo, Marilena, Lorenza – die Mutter, die mit Maria Grazia zusammenlebt –, und auch Alceo. Nach dem Unfall vor drei Tagen sind Marilena die Briefe wieder eingefallen und da hat sie gedacht, dass man sie vielleicht ernster hätte nehmen müssen, dass womöglich mehr hinter dem Unglück steckt, welches Anselmo widerfahren ist.«
»Hmmmm ...« Nelly kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Aber Moment mal, kümmert sich nicht schon mein Kollege Rivelli darum? Deine Verwandten, haben die ihm die Briefe nicht gezeigt und ihre Zweifel geschildert? Wenn was dahintersteckt, kommt es auch raus. Bei den ausgeklügelten Ermittlungsmethoden heutzutage ist es so gut wie unmöglich, nicht erwischt zu werden.«
»Klar haben sie ihm die Briefe gezeigt. Aber anscheinend hat er nicht viel darauf gegeben, also hat Marilena beschlossen, sich an mich zu wenden, und ich wende mich an dich.«
Nelly verzog den Mund. Die Sache schmeckte ihr gar nicht.
»Ich mische mich nur ungern in die Ermittlungen der Kollegen ein, Sa. Rivelli ist auf Zack und obendrein ein anständiger Kerl, und ehrlich gesagt
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