Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
stehen. Sein Gesicht, das durch den Wind einen harten und aggressiven Ausdruck angenommen hatte, wurde plötzlich weich und mitfühlend. Joss spürte, wie ihr das Herz schwer wurde. »Ist sie tot?« flüsterte sie.
»Ja. Es tut mir leid. Sie starb vor drei Jahren. In Frankreich.«
Joss biß sich auf die Unterlippe. »Ich hatte so gehofft …«
»Es ist besser, daß Sie sie nicht mehr kennenlernen konnten. Ich bezweifle, daß Ihre Mutter das gewollt hätte«, fügte er hinzu.
Der freundliche, mitfühlende Ton in seiner Stimme war nicht zu überhören; Joss fand, daß er ein sehr guter Geistlicher gewesen sein mußte.
»Warum hat sie mich weggegeben?« Ihre Stimme zitterte, und Tränen liefen ihr über die Wangen. Verlegen wischte sie sie weg.
»Weil sie Sie geliebt hat. Weil sie Ihnen das Leben retten wollte.«
»Mein Leben retten?« wiederholte Joss schockiert.
Er griff in seine Tasche, zog ein Taschentuch hervor und trocknete ihr damit vorsichtig die Tränen ab. Er lächelte, aber in seinen Augen lag ein unglücklicher Ausdruck. »Ich habe darum gebetet, daß Sie mich niemals aufsuchen würden, Jocelyn Grant.«
Er wandte sich um und ging einige Schritte weiter, aber dann wirbelte er plötzlich herum und sah ihr fest in die Augen. »Können Sie vergessen, daß Sie jemals in Belheddon waren? Können Sie diesen Besuch für immer aus Ihrem Gedächtnis streichen?«
Joss holte tief Luft und schüttelte verwirrt den Kopf. »Wie könnte ich?«
Seine Schultern sackten zusammen. »Ja, Sie haben recht.« Er seufzte. »Kommen Sie.«
Abrupt machte er wieder kehrt und ging zu seinem Haus zurück. Sie folgte ihm schweigend. Ihr Magen krampfte sich zusammen.
Als der Geistliche die Haustür schloß, während draußen der Wind heulte und das Meer donnerte, wurde es in dem engen Hausflur fast gespenstisch ruhig. Er schlüpfte aus seinem Mantel, half ihr aus ihrer Jacke und warf beides auf einen vielarmigen viktorianischen Garderobenständer, bevor er die Treppe hinaufging.
Er führte sie in ein großes, behagliches Büro mit Blick auf die Kaimauer und die weißgekrönten Wellen. Es roch stark nach Pfeifenrauch, vermischt mit dem Duft des Schneeballs und der Tabakpflanzen, die zusammen mit Herbstastern in einer großen Vase inmitten von Bücherstapeln auf dem Tisch standen. Er bedeutete ihr, sich auf einen großen, abgenutzten Sessel zu setzen, ging zur Tür und schrie die Treppe hinunter: »Dot! Tee und Mitgefühl! Im Arbeitszimmer! Zwanzig Minuten!«
»Mitgefühl?« Joss zwang sich zu einem Lächeln.
Er setzte sich auf den Rand seines großen, unaufgeräumten Schreibtischs und sah sie nachdenklich an. »Sind Sie stark, Jocelyn Grant?«
»Ich glaube schon«, antwortete sie mit einem Seufzen.
»Sind Sie verheiratet?« Sein Blick war zu ihren Händen gewandert und ruhte jetzt auf ihrem Ehering.
»Wie Sie sehen.«
»Und haben Sie Kinder?«
Sie blickte auf und versuchte, seine unveränderte Miene zu deuten. Es gelang ihr nicht. »Ich habe einen kleinen Sohn. Er ist achtzehn Monate alt.«
Seufzend ging er um den Schreibtisch herum zum Fenster und schaute auf das Meer hinunter. Es folgte ein langes Schweigen.
»Erst nach Toms Geburt ist mir klargeworden, daß ich etwas über meine leiblichen Eltern erfahren wollte«, sagte sie schließlich.
»Natürlich.« Er drehte sich nicht um.
»Ist das mein Vater — der Philip, der im Friedhof in Belheddon begraben ist?« fragte sie nach einer weiteren Pause.
»Ja.«
»Haben Sie ihn beerdigt?«
Er nickte gemächlich.
»Wie ist er gestorben?«
»Bei einem Reitunfall.« Endlich wandte er sich zu ihr um. »Ich mochte Philip sehr gern. Er war ein netter, tapferer Mann. Und er hat Ihre Mutter sehr geliebt.«
»Hat sie mich wegen des Unfalls weggegeben?«
Er zögerte. »Ja, zum Teil war das der Grund, sicher.« Er setzte sich an den Schreibtisch, stützte die Ellbogen auf und rieb sich müde das Gesicht. »Ihre Mutter war körperlich nie besonders widerstandsfähig, obwohl sie emotional stärker war als wir alle. Nach Philips Tod hat sie sich fast aufgegeben. Vor Ihnen hatte sie noch zwei andere Kinder. Beide sind gestorben, bevor sie zehn waren. Es dauerte sehr lange, bis schließlich Sie geboren wurden. Ihre Mutter hatte schon geplant wegzugehen. Ich glaube nicht, daß sie und Philip noch weitere Kinder wollten …« Er verstummte nachdenklich. »Es tut mir leid. Wahrscheinlich haben Sie eine Geschichte von Kummer und Leid erwartet.
Warum sollte eine Frau von Lauras
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