Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
kommt so gut mit ihm zurecht …« Ihre Stimme erstarb.
In den letzten Jahren hatte sie das Unterrichten gehaßt und verabscheut. Sie hatte sich vom Lehrplan eingeengt und frustriert gefühlt, und die herausfordernde Arbeit mit den Kindern hatte ihr keinen Spaß mehr gemacht. Sie hatte den falschen Beruf gewählt, das wußte sie, auch wenn sie gut darin gewesen war, sehr gut sogar. Aber sie fühlte sich nicht zur Lehrerin berufen. Sie war eine Akademikerin, noch dazu eine romantisch veranlagte, und das paßte nicht besonders gut zusammen. Ihre Schwangerschaft war ein absoluter Glücksfall gewesen, zwar nicht geplant oder erwartet, aber erstaunlicherweise eine große Freude. Und beinahe das Beste daran war gewesen, daß sie für immer mit dem Unterrichten aufhören konnte. Sie hatte zum Ende des zweiten Trimesters gekündigt, hatte den schmeichelhaften Überredungsversuchen von David Tregarron, dem Fachbereichsleiter, widerstanden und sich in die Freuden der Mutterschaft gestürzt. Joss seufzte. Vielleicht würde die Schule sie ja wieder nehmen. Angeblich wollte die Frau, die ihre Stelle bekommen hatte, schon wieder gehen. Aber selbst wenn das nicht der Fall war, würde sie auf jeden Fall ein gutes Zeugnis bekommen. Das Problem war nur, daß sie gar nicht mehr unterrichten wollte. Sie wollte sich um Tom kümmern.
Sie ging zum Wasserhahn und füllte den Kessel. Die alltägliche Handlung hatte etwas Beruhigendes und gab ihr Gelegenheit, sich zu fassen. »Eine Tasse Kaffee, und dann gehen wir ins Bett. Wir können beide nicht gut denken, wenn wir müde sind«, sagte sie entschlossen. »Und morgen machen wir einen Plan.«
»Du bist großartig, Joss.« Er drückte sie kurz an sich. Dann fiel ihm schuldbewußt wieder ein, wo sie ihren Tag verbracht hatte. »Aber jetzt erzähl mal, was bei dir passiert ist. Wie war’s? Hast du deine Mutter gefunden?«
Sie schüttelte den Kopf und gab Kaffeepulver in die Becher. »Sie ist vor ein paar Jahren gestorben. Das Haus steht leer. Ich glaube nicht, daß es noch irgendwelche Verwandten gibt.«
»Ach, Joss …«
»Das macht nichts, Luke. Ich habe einiges über sie herausgefunden. Sie war unglücklich und krank, und ihr Mann war gestorben. Deswegen hat sie mich auch weggegeben. Und«, sagte sie, und ihre Miene hellte sich auf, »anscheinend hat sie mir einen Brief hinterlassen. Ich habe den Namen einer Anwaltskanzlei, mit der ich mich in Verbindung setzen muß. Wer weiß«, lachte sie, »vielleicht hat sie mir ein Vermögen vermacht.«
»Mrs. Grant?« John Cornish stand in der Tür zu seinem Büro und bat sie herein. »Tut mir leid, daß Sie warten mußten.« Er deutete auf einen Stuhl und setzte sich an seinen Schreibtisch. Auf der Löschunterlage vor ihm lag ein dünner Plastikordner. Er zog ihn zu sich und blickte dann zu Joss. Das strenge Auftreten des gut Sechzigjährigen und sein dunkler Anzug standen in krassem Gegensatz zu seinem freundlichen, herzlichen Gesichtsausdruck. »Sie haben Ihre Geburtsurkunde, das Adoptionsdokument und den Trauschein mitgebracht? Es tut mir leid, eine reine Formsache …«
Sie nickte und holte die Unterlagen aus ihrer Tasche.
»Sie haben meinen Namen von Edgar Gower erfahren?«
Joss nickte wieder.
»Ehrlich gesagt habe ich mich immer gefragt, ob Sie sich bei mir melden würden. Sie hatten nur noch zwei Jahre Zeit.«
»Zwei Jahre?« Joss saß angespannt auf der Stuhlkante und umklammerte ihre weiche Ledertasche.
»Eine seltsame Geschichte. Möchten Sie einen Kaffee, bevor ich es Ihnen erzähle?« Er deutete auf ein Tablett, das auf einem Tisch an der Wand stand.
»Sehr gerne.« Sie brauchte etwas zu trinken. Ihr Mund war ganz trocken.
Als beide vor einer gefüllten Tasse saßen, lehnte John Cornish sich in seinem Stuhl zurück. Er hatte weder die Plastikmappe auf seinem Schreibtisch noch den Umschlag mit Joss’ Dokumenten geöffnet.
»Ihre Mutter, Laura Catherine Duncan, ist am 15. Februar 1989 verstorben. Sie war im Frühjahr 1984 von Belheddon Hall nach Frankreich gezogen, und seitdem steht das Haus leer. Ihr Ehemann, also Ihr Vater, Philip Duncan, war im November 1963 gestorben; seine Mutter, die im Dorf Belheddon lebte, ist vor drei Jahren gestorben, und die beiden Söhne von Laura und Philip — Ihre Brüder — 1953 beziehungsweise 1962. Soweit ich weiß, gibt es keine näheren Verwandten, die noch leben.«
Joss biß sich auf die Unterlippe.
»Ihre Mutter hat zwei Briefe für Sie hinterlassen«, fuhr Cornish fort.
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