Der Frauenkrieg
eine Minute, ohne eine Sekunde zu verlieren. Ja, auf der Stelle; ich will nicht warten. Diese verfluchte Stadt erfüllt mich mit Schrecken. Heute ist es mir noch gelungen, Euch zu retten; aber morgen würde Euch vielleicht irgend ein unerwartetes Mißgeschick mir abermals entreißen.«
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und der Offizier, der bereits bei Canolles gewesen war, verkündigte, die in dem Passierscheine bewilligte halbe Stunde sei abgelaufen.
»Lebe wohl,« flüsterte Canolles, »oder verbirg mich in einer Falte deines Mantels und nimm mich mit.«
»Armer Freund,« versetzte Claire mit leiser Stimme, »schweige doch, denn du brichst mir das Herz. Siehst du nicht, daß ich vor Verlangen sterbe dich fortzuführen? Habe Geduld für dich, habe Geduld für mich; in einigen Stunden sind wir wiedervereinigt, um uns nie mehr zu verlassen.«
»Ich habe Geduld,« erwiderte Canolles, durch dieses Versprechen völlig beruhigt; »doch wir müssen uns trennen; auf, Mut gefaßt! Sprechen wir das Abschiedswort: Gott befohlen, Claire!«
»Gott befohlen,« sagte sie, bemüht zu lächeln, »Gott be...«
Aber sie konnte das Abschiedswort nicht vollenden; zum dritten Male erstickte das Schluchzen ihre Stimme.
»Gott befohlen!« rief Canolles, die Vicomtesse abermals in die Arme fassend und ihre Stirn mit Küssen bedeckend, »Gott befohlen.«
»Teufel!« murmelte der Offizier, »zum Glück weiß ich, daß der arme Junge nicht mehr viel zu befürchten hat, sonst würde mir diese Szene das Herz brechen.«
Der Offizier begleitete Claire bis an die Tür, kam dann zurück und sagte zu Canolles, der noch voll Aufregung auf einen Stuhl gesunken war: »Es genügt nun nicht, glücklich zu sein, man muß auch Mitleid haben. Euer Nachbar, Euer unglücklicher Gefährte, derjenige, der sterben soll, ist allein; niemand beschützt ihn, niemand tröstet ihn; er wünscht Euch zu sehen; ich habe es auf mich genommen, ihm diese Bitte zu gewähren; aber Ihr müßt ebenfalls einwilligen.«
»Ob ich einwillige!« rief Canolles, »der Unglückliche! Ich erwarte ihn, ich öffne ihm die Arme! Ich kenne ihn nicht, aber gleichviel.«
»Doch er scheint Euch zu kennen.«
»Weiß er, welches Schicksal ihm bevorsteht?« – »Nein, ich glaube nicht. Ihr begreift, daß man ihn in Unwissenheit lassen muß...«
»Oh! seid unbesorgt.«
»Holt ihn, mein Herr, und glaubt mir, daß ich Euch für ihn und für mich dankbar bin.«
Der Offizier ging hinaus, öffnete die Tür des anstoßenden Kerkers, und Cauvignac trat, zwar etwas bleich, aber mit ungezwungener Haltung und erhobener Stirn in das Zimmer Canolles', der ihm einige Schritte entgegenging.
Cauvignac war nicht niedergeschlagen, weil in ihm ein unerschütterliches Vertrauen auf sich selbst, eine unerschöpfliche Hoffnung auf die Zukunft lebte. Aber unter einem ruhigen Anschein und unter einer beinahe heiteren Maske hatte sich ein tiefer Schmerz eingeschlichen, und dieser biß wie eine Schlange in sein Herz. Die skeptische Seele, die stets an allem gezweifelt hatte, zweifelte endlich auch an sich selbst...
Seit dem Tode Richons aß Cauvignac nicht mehr, schlief er nicht mehr.
Als er in Canolles' Zimmer trat, wartete er mit seiner gewöhnlichen Klugheit, bis der Offizier, der ihn eingeführt, sich entfernt hatte; sobald er sodann die Tür wohl verschlossen sah, ging er auf Canolles zu, der ihm wie gesagt, einige Schritte entgegen getan hatte, und drückte ihm liebevoll die Hand.
Trotz der ernsten Lage konnte sich Cauvignac eines Lächelns nicht enthalten, als er den jungen Mann mit dem abenteuerlichen Geiste und der heiteren Laune erkannte, den er bereits zweimal unter Umständen, die von seinen jetzigen sehr verschieden waren, getroffen hatte; er begrüßte ihn mit zuvorkommendem Wohlwollen.
»Nun, Baron,« sagte Cauvignac, »was sagt Ihr zu der Lage, in der wir uns befinden? Es scheint mir, sie ist ziemlich heikel.«
»Ja, wir sind hier als Gefangene, und Gott weiß, wann wir diesen Ort verlassen werden,« antwortete Canolles, bemüht ruhig und gefaßt zu erscheinen, um die Todesstunde seines Gefährten wenigstens durch die Hoffnung zu versüßen.
»Wann wir diesen Ort verlassen werden!« versetzte Cauvignac; »Gott, den Ihr anruft, möge in seiner Barmherzigkeit beschließen, daß es so spät als möglich geschehe; aber ich glaube nicht, daß er geneigt sein wird, uns eine lange Frist zu gewähren. Von meinem Kerker aus sah ich, wie Ihr es von dem Eurigen aus sehen konntet,
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