Der Frauenmörder
Gesicht und beruhigte sie. Inzwischen hatte auch die Frau ihre Haltung wieder gefunden, sie nahm den Herren die Kinder ab, tat gegen sie zärtlich und setzte ihren Weg langsam fort. Krause und der Blonde aber waren, jeder ein Kind auf dem Arm, einige Sekunden einander gegenüber gestanden, hatten einander gemessen und unwillkürlich verlegen angelacht.
Damit war das kleine Zwischenspiel beendet und Krause nahm wieder die Jagd hinter dem Unbekannten auf, der unter dem zermalmenden Verdacht stand, arme Frauen beraubt und ermordet zu haben.
Es ging nun die Novalisstraße hinunter und der Blonde verschwand knapp vor der Ecke der Tieckstraße in einem großen, altmodischen Miethaus echt berlinerischer Art. Krause wartete einen Augenblick, dann sprang er rasch in den dunklen Hausflur, kauerte auf der ersten Stufe nieder und legte das Ohr an das Treppengeländer. So — nun hatte der Mann die erste Treppe hinter sich, ging einige Schritte eben und dann wieder treppaufwärts. Wieder eben und wieder aufwärts. Jetzt hörte Krause genau elf Schritte, die der Mann nach rechts zurücklegte. Nun blieb er stehen, Krause vernahm mit überempfindlichen Ohren das Klirren eines Schlüsselbundes, das Öffnen und Zuschlagen einer Tür, Also wohnte der Mann drei Treppen hoch, elf Schritte nach rechts von der Treppe entfernt.
Wieder hieß es warten. Wer weiß wie lange, vielleicht bis spät abends, vielleicht auch vergeblich, wenn der Mann schon zu Hause blieb. Krause überlegte. Wäre es nicht am einfachsten und sichersten, rasch nach dem nächsten Revier zu laufen, mit zwei handfesten Polizisten wieder zu kommen und den Kerl einfach zu verhaften? Krause lächelte dünn und ließ tausend Fältchen im Gesicht entstehen und vergehen. Nein, das wäre eben zu einfach, zu polizeimäßig gewesen! Der Mann würde ihm nicht entgehen, dachte gar nicht an Flucht, fühlte sich wahrscheinlich höchst sicher, trotzdem er heute eine pyramidale Dummheit gemacht. Eine solche Dummheit, daß — Krause lachte halblaut vor sich hin. Nein, der lief ihm durchaus nicht davon! Und außerdem: Er war sicher Junggeselle. Was aber sollte einen Junggesellen veranlassen, an einem heißen Tag zu Ende August noch vor sechs Uhr in seiner Bude zu bleiben? Man konnte ruhig riskieren, zu warten.
Thomas Hartwig
U nauffällig promenierte er die durchaus nicht sehr unterhaltsame Novalisstraße entlang, das Haus Nummer 10 dabei nicht aus dem Auge lassend. Einst beste Berliner Gegend, später kleinbürgerlich, heute fast restlos proletarisiert, war diese Straße von Kindern, schimpfenden Frauen, von Staub und üblen Gerüchen erfüllt. Eine Straße im Niedergang, irgendwie traurig und trostlos, wie verkommene Frauen, von denen man weiß, daß sie einstens glanzvolle Tage gesehen.
Krause war heute entschieden vom Glück begünstigt. Bevor noch eine halbe Stunde um war, erschien der Blonde wieder. Der Detektive, der gerade noch in ein Haustor hatte springen können, stellte fest, daß der Mann sich die staubigen Schuhe gereinigt, einen anderen Schlips umgenommen und unternehmungslustig einen Spazierstock schwang. Daraus war mit einiger Sicherheit zu schließen, daß er den Abend frei vor sich hatte und ihn durchaus nicht zu Hause in der Elsässerstraße verbringen würde. Diesmal folgte Krause nicht, sondern wartete das Verschwinden des Blonden ab, um dann ruhig das Haus Nummer 10 zu betreten, zwei Treppen hinauf, dann elf Normalschritte nach rechts zu gehen. Und richtig stand er nun vor einer Wohnungstür, die zwei Namen aufwies. Der eine auf einer Emailtafel lautete Wilhelmine Armbruster, der andere war auf einer Visitenkarte zu lesen, auf der es hieß:
Thomas Hartwig, Schriftsteller.
Ein wenig verwundert, einige Beklommenheit in der Brust stand Krause still. Schriftsteller — mag sein — der Gang, das Äußere widersprachen dem nicht! Aber was und wo schrieb dieser Schriftsteller, dessen Namen noch nie an sein Ohr geklungen? Und doch las Krause viel, sehr viel sogar, war in der Leihbibliothek abonniert, kramte oft stundenlang bei Buchhändlern herum, legte mehr Geld, als er eigentlich durfte, in Büchern an.
Mit kurzem Entschluß zog er die altmodische Glocke, worauf ein scheppernder Ton die Stille unterbrach. Aber nichts rührte sich, auch als er zum zweiten- und drittenmal den Glockenzug in Bewegung setzte.
Ärgerlich wollte er sich entfernen, da ersichtlich niemand in der Wohnung war. In diesem Augenblick wurden Schritte auf der Treppe laut und schon stand eine
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