Der Frauenmörder
Rolle eines Bewunderers mir näherte, faßte ich Verdacht. Aber Herr von Dengern spielte diese Rolle so gut, daß ich wieder irre wurde. Die fünf Briefe hatte ich natürlich absichtlich in die Schublade zu den vielen anderen gelegt, damit Beweise gegen mich gefunden würden.
Nun möchte ich aber mein Vorgehen auch moralisch rechtfertigen. Ich bin mir vollauf bewußt, eine ganz außerordentliche Frivolität begangen zu haben, ja sogar eine Gemeinheit, in dem ich die Öffentlichkeit durch Wochen in Erregung hielt und der Justiz, diesem hohen und wertvollen Faktor jedes Staates, unnütze, aufreibende Arbeit machte. Aber Herr von Dengern hat ganz richtig gesagt, daß ich den Wert meiner Persönlichkeit, besser gesagt meines Schaffens, hoch genug veranschlagte, um mich über vieles hinwegzusetzen. Meine Herren, die groteske, phantastische Idee, die meine Braut und ich ausgeheckt hatten, sollte mir die Möglichkeit bieten, meine Werke zur Geltung zu bringen und dann mit neuer Kraft weiterzuarbeiten. Würde die Nachwelt einem der großen deutschen Denker und Dichter es übelnehmen, wenn er auf ähnlichem Wege wie ich sein Ziel erreicht hätte? Sicher nicht! Ich, der ich an mich glaube und gewiß bin, noch Großes schaffen zu können, sah den Weg vor mir mit Hindernissen verbarrikadiert, die ich nicht übersteigen konnte. Es ist leicht gesagt: Das Genie bricht sich Bahn! Man kennt eben nur das Genie, das sich Bahn gebrochen hat, nicht aber die vielen, die unterwegs liegen geblieben sind als Opfer oft lächerlicher Widerwärtigkeiten. Hätte ich geduldig weitergearbeitet, so würde mein Roman wahrscheinlich demnächst nur als Käsepapier zur Geltung gekommen sein und mein Drama wäre bei Herrn Direktor Hohlbaum so lange im Schrank liegen geblieben, bis es die Mäuse zernagt hätten. Ich wollte und konnte aber nicht warten und lieber ließ ich mich durch einen frivolen Schelmenstreich ans Tageslicht zerren, als in aller Bescheidenheit im Dunkel zu verkümmern."
Tiefe Stille folgte diesen Worten, erst nach Augenblicken wurden vereinzelte Bravorufe laut. Der Reichskanzler nickte bedächtig und warf Thomas Hartwig einen langen Blick voll Teilnahme zu. Der Präsident stellte eine Frage:
"Nun sagen Sie mir, Herr Hartwig, warum Sie diesem immerhin durchaus nicht einwandfreien Spiel nicht schon gestern ein Ende bereitet haben?"
Hartwig lächelte.
"Herr Präsident, aus einem sehr menschlichen Gefühl heraus. Ich hatte einfach Angst vor der Kritik! Wäre gestern die Seifenblase geplatzt, so hätte dies das Schicksal meines Dramas wesentlich beeinflussen können. Nicht daß ich an dem guten Willen und der Ehrlichkeit der Kritiker zweifeln will! Aber es ist immerhin etwas anderes, über das Stück eines Menschen zu urteilen, der die Aufführung seines Dramas durch eine Verzweiflungstat erzwingt und morgen schon mitten im Berliner Leben auftauchen wird, als über das Drama eines Mannes, der sozusagen nicht mehr unter den Lebenden weilt. Ich wollte abwarten, bis die Herren Kritiker ihr Urteil gefällt haben würden, deshalb war ich entschlossen, erst heute zu reden."
Der Präsident blickte fragend den Staatsanwalt an, worauf sich dieser erhob:
"Hoher Gerichtshof, meine Herren Geschwornen! Da an der Tatsache, daß ein Verbrechen überhaupt nicht vorliegt, nach den Beweisen des heutigen Tages nicht gezweifelt werden kann, trete ich hiemit von der gegen Thomas Hartwig erhobenen Anklage zurück und beantrage, den Angeklagten auf freien Fuß zu setzen. Im übrigen behalte ich mir vor, auch gegen ihn die Anklage wegen groben Unfuges und Verleitung zur Falschmeldung zu erheben."
Damit war die große Berliner Sensation beendet, und als eine Viertelstunde später Thomas Hartwig an der Seite Lotte Fröhlichs das Gerichtsgebäude verließ, brauste ihnen heller Jubel, vermischt mit ulkigen Ausrufen entgegen. Nur mühsam konnten sie sich durch die Menschenmassen einen Weg bahnen, um das herbeigerufene Auto zu besteigen. Es war aber Joachim von Dengern, der ihnen den Wagenschlag öffnete, die Hände schüttelte, um dann kurz und trocken zu sagen:
"Auf die Gefahr hin, daß Sie mich verraten und damit meiner Karriere schaden, möchte ich Ihnen versichern, daß ich schon damals, als ich Ihnen vom Postamt aus auf dem Fuße folgte, meine Bedenken gehabt hatte. Sie habe ich nie für einen Mörder, Ihre Braut aber immer für ein höchst schlaues Persönchen gehalten. Und das Spiel gefiel mir so gut, daß ich es zu Ende gespielt sehen wollte!"
E N D
Weitere Kostenlose Bücher