Der Frauenmörder
ihre Redaktionen und schrieben Feuilletons, in denen die Bedeutung des Stückes restlos anerkannt wurde. Man hatte schließlich nicht immer so gute Gelegenheit, genau so zu schreiben, wie man empfand. Bei lebenden Autoren gab es allerlei Rücksichten, Bedenken, persönliche Angelegenheiten, über die man nicht ganz hinwegkam. Aber Hartwig war tot oder doch so gut wie tot — — —
Joachim von Dengern begab sich aber sofort, nachdem der Vorhang zum letztenmal gefallen, zu der Garderobe, die zu den Sitzen des Fräuleins Fröhlich und der Frau Lammlein gehörte, drängte sich dann an Lotte heran und flüsterte ihr rasch einige Worte ins Ohr, die das Mädchen veranlaßten, sich von Frau Lämmlein zu verabschieden und mit Dengern ein Weinrestaurant zu besuchen, in dem sie bis nach Mitternacht zusammen blieben.
Die Bombe platzt!
D er Verhandlungsbeginn war wieder auf zehn Uhr festgesetzt, aber schon eine Stunde vorher umstand eine unübersehbare Menschenmenge das Gerichtsgebäude. Konnte man schon nicht in den Saal hinein, so wollte man doch durch die ein und aus gehenden Berichterstatter und durch Gerichtsdiener, die Zigarren nicht unzugänglich waren, allemal erfahren, was vor sich ging. Ganz Berlin fieberte ja in Aufregung, es gab keinen anderen Gesprächsstoff, sogar in den Schulen wirkte die Spannung unter den Schülern und Lehrern störend auf den Unterricht.
Würde Hartwig ein glattes Geständnis ablegen? Vielleicht sogar ein Geständnis von mehr Morden, als ihm nachgewiesen worden waren? Oder würde es zu einer ungeheuren Überraschung kommen, sich herausstellen, daß nicht Hartwig der Mörder ist, sondern ein anderer, den er retten will? Wüste Gerüchte begannen sich zu verbreiten. Hartwig hat in seiner Zelle Selbstmord begangen! Nein, er lebt, aber ist in Tobsucht verfallen! Plötzlich von Mund zu Mund: Der Reichskanzler kommt, um der Verhandlung beizuwohnen und den Mörder gleich nach dem Urteilsspruch zu begnadigen!
Die Automobile und Droschken rollten mit den glücklichen Besitzern von Einlaßkarten vor. Und immer neue Persönlichkeiten kamen, die man nicht abweisen konnte, so daß hinter den Sitzreihen im Schwurgerichtssaal ein Stehparterre entstand. Hohe Generäle, bedeutende Parlamentarier, berühmte Dichter und Publizisten. Im letzten Augenblick, Punkt zehn Uhr, wurde wirklich gemeldet, daß der Reichskanzler in Gesellschaft des Reichstagspräsidenten erschienen sei. Für die beiden Herren wurden Stühle dicht neben die Bank des Angeklagten eingeschoben.
Nun betrat der Gerichtshof den Saal, sammelten sich die Geschwornen, wurde der Angeklagte hereingeführt. Alle waren blaß, übernächtig erregt. Hartwig, nicht weniger als der Präsident, der Staatsanwalt und sein Verteidiger. Sogar der Entenschnabel zitterte vor Aufregung am ganzen Leibe und ließ kein Auge vom Reichskanzler. Welche Ehre, welch ereignisreicher Tag für den Stammtisch!
In dem Augenblick, als der Präsident die Verhandlung für eröffnet erklärte, sprang Joachim von Dengern vor. Der Präsident gab ihm das Wort.
Joachim von Dengern stand starr und unbeweglich da, hielt die Augen halb geschlossen und begann mit lauter, aber eintöniger Stimme, als wurde es sich um Gleichgültiges und Selbstverständliches handeln:
"Ich habe gestern gesagt, daß ich noch einige wichtige Erhebungen vorhabe. Diese Erhebungen sind mir voll und ganz geglückt und ich bedauere nur, daß ich zu der abschließenden Erkenntnis, die ich jetzt besitze, nicht schon früher gekommen bin, weil ich dann dem hohen Gerichtshof und den Herren Geschwornen sowie den Zeugen diesen Prozeß hätte ersparen können."
Hört!-Hört!-Rufe, Unruhe, der Präsident schlägt auf den Tisch und bittet die Anwesenden, sich jeder Störung zu enthalten. Dengern aber fährt fort:
"Herr Präsident werden mir wohl gestatten, ein wenig ausführlich zu sein und in großen Zügen das Ergebnis meiner Nachforschungen, die ich seit Monaten unter stetem Zweifel und schweren Bedenken betrieben habe, zu rekapitulieren. Vorweg möchte ich nur betonen, daß wir alle leider von allem Anfang an von falschen Voraussetzungen ausgegangen sind. Die Polizei, der Untersuchungsrichter, die Staatsanwaltschaft und nun dieses Gericht haben die Überzeugung gehabt und haben sie zum Teile noch, daß fünf Frauen verschwunden sind, die von einem Unhold ermordet wurden. Dem ist aber nicht so. In Wirklichkeit handelt es sich nicht um fünf Mädchen, sondern immer um ein und dasselbe, und dieses eine Mädchen
Weitere Kostenlose Bücher