Der fremde Pharao
auf dem vom Sonnenuntergang beschienenen Gras wurden immer länger. Diener rollten die Binsenmatten auf und räumten die Reste des Begrüßungsmahls fort. »Ich weiß es nicht und es ist auch einerlei«, antwortete er abschließend. »Wir tun, was man uns heißt, und im Austausch für unseren Gehorsam dürfen wir unsere Nomarchen und unseren Haushalt so führen, wie es Amun vorschreibt. Andere haben nicht so viel Glück.« Kamose verzog das Gesicht, stand auf und ging.
»Vater, ich könnte doch hingehen und mit dem Herold reden«, bot sich Si-Amun an. »Vielleicht bekomme ich irgendeine nützliche Information aus ihm heraus.«
»Ich verbiete es«, sagte Seqenenre scharf. »Ein Herold ist ein Bote, mehr nicht. Von ihm wird nicht verlangt, dass er seinen Herrn berät oder Meinungen äußert, und du, Si-Amun, solltest dir zu schade sein, diesem Chian mehr Achtung zu erweisen, als die Gesetze der Gastfreundschaft erfordern. Außerdem ist er der Diener eines Königs, der uns übel will. Denk daran und sieh dich vor, wenn du mit ihm sprichst.« Si-Amun wurde rot.
»Verzeih mir«, sagte er. »Du hast Recht. Aber das fällt sehr schwer, wenn man weiß, dass man von Königen abstammt und dennoch in Anwesenheit eines schlichten Herolds seine Zunge hüten muss.« Er wippte auf die Knie und dann hoch und zog seine Frau mit sich. »Mit dem Fest wird es noch ein Weilchen dauern«, schloss er. »Komm, Aahmes-nofretari, geh mit mir am Fluss spazieren.«
Seqenenre sah, wie sie in der hereinbrechenden Dämmerung verschwanden. Si-Amun zählte neunzehn Lenze, war ein paar Augenblicke älter als Kamose und daher Seqenenres Erbe. Rein körperlich glich er seinem Bruder aufs Haar, und man konnte sie kaum auseinander halten, abgesehen von dem kleinen Leberfleck an Si-Amuns Mundwinkel, doch charakterlich waren sie grundverschieden. Si-Amuns Selbstvertrauen grenzte fast an Überheblichkeit. Er hatte eine rasche Auffassungsgabe, war ein guter Bogenschütze, ärgerte sich jedoch über sein Leben in der tiefsten Provinz. Er wollte nach Norden und dem König dienen, dort sein, wo in Ägypten die Macht residierte, und Seqenenre konnte nur hoffen, dass aus seiner Überheblichkeit allmählich fürstlicher Sachverstand und aus seiner Rastlosigkeit Ausübung angemessener Autorität werden würde.
Kamose jedoch schien in sich selbst zu ruhen wie seine Mutter. Er besaß das ruhige Selbstbewusstsein eines doppelt so alten Mannes, war reif und erwachsen und kümmerte sich um seine eigenen Angelegenheiten. Ahmose, mit seinen sechzehn Lenzen der jüngste Sohn, war wie eine Flamme, ein behänder, kräftiger, sonniger und waffenkundiger junger Mann, ein sehr guter Ringer, der vom Leben nichts weiter verlangte, als dass es mit dem Segen der Götter immer so weitergehen würde.
Ich habe alles, was sich ein Mensch nur wünschen kann, dachte Seqenenre. Ich bin ein ägyptischer Fürst. Ich habe eine Familie, die sich eng verbunden ist und sich liebt. Ich leide keine Not. Meine Arbeit ist aufreibend, aber einfach und ganz anders als die Pflichten eines Königs. Er blickte auf, und seine Augen wurden unwillkürlich von dem gedrungenen, weitläufigen alten Palast angezogen, der sich jetzt in die hereinbrechende Dämmerung hüllte. So weit Seqenenre zurückdenken konnte, hatte er das Anwesen beherrscht, das er von seinem Vater Senechtenre und dessen Vater vor ihm geerbt hatte. Für die meisten war der Palast altmodisch und so vertraut und gleichgültig, dass sie dem vor sich hin bröckelnden Gebäude kaum noch Beachtung schenkten. Doch als Kind hatte seine Mutter ihm beim Zubettbringen von den Vorfahren erzählt, die darin gewohnt hatten, von einem Gott, der auf den anderen folgte, von den Königen Unter-und Oberägyptens, vom Roten und vom Schwarzen Land, von kriegerischen Herrschern, in deren Adern das feurige Blut ihrer Wüstenahnen rann und die als Res Erben selbst göttlich waren. Sie lagen einbalsamiert in ihren Grabmälern. Sie segelten in der heiligen Barke mit den Göttern dahin, während er …
Auf einmal fröstelte ihn in der Abendbrise, er stand auf und ging ins Haus zurück. Er war nichts weiter als ein treuer Fürst des Gottes, der in Auaris auf dem Horusthron saß. Die Macht der ehemaligen Könige war geschwunden. Ägypten war zweigeteilt. Fürsten hatten sich mit dem Adel gestritten. Privatheere hatten das Land verwüstet, hatten die Macht Fremdländern überlassen, die jahrelang aus dem Osten nach Ägypten eingesickert waren und nach und nach
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