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Der fremde Pharao

Der fremde Pharao

Titel: Der fremde Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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die Verantwortung über ein zerrissenes Land an sich gerissen hatten. Jetzt herrschten in Ägypten die Setius. Das war die Wirklichkeit des Zeitalters, in das Seqenenre hineingeboren war und in dem er sterben würde.
    Er war so in seine Gedanken vertieft, dass er fast mit seinem Haushofmeister zusammengestoßen wäre, der in der zunehmenden Dunkelheit des Flurs wartete. Mit einem Ruck holte er seine Gedanken in die Gegenwart zurück. »Hat Chian alles, was er braucht?«, fragte er. Uni nickte. »Gut. Kümmere dich darum, dass die Fackeln entzündet werden, Uni. Mir scheint, es ist heute früher dunkel geworden.« Langsam ging er zu seinen eigenen Gemächern und wusste, dass er heute weder Appetit auf das Essen hatte, dessen Düfte jetzt über das Gelände wehten, noch auf das Spiel mit Worten, das er wieder einmal mit dem König spielen musste.
    Das Fest fand in einer Atmosphäre gezwungener Fröhlichkeit statt. Familie und Gäste hatten sich mit duftendem Öl gesalbt und trugen Girlanden aus zarten frühen Wildblumen. Seqenenres Harfenist spielte, und später verließ Tani ihren Platz neben ihrer Großmutter Tetischeri und tanzte, wand sich mit der ganzen Geschmeidigkeit ihrer dreizehn Lenze durch die festliche Menge.
    Abgesehen von Chian war noch ein Kaufmann aus Waset anwesend, dazu Seqenenres Viehaufseher, der noch vor Chian von den Ländereien des Fürsten eingetroffen war, auf denen dieser seine Herden weiden lassen durfte, und mehrere Priester vom Amun-Tempel, deren rasierte Schädel im Fackelschein glänzten. Tetischeri, königlich, wenn auch zart in einem eng anliegenden weißen Hemdkleid, das graue Haar unter einer kinnlangen schwarzen Perücke mit einem Reif aus Goldblättern verborgen, hatte Apophis’ Vertreter knapp und kühl begrüßt, die Botschaft des Königs höflich beantwortet und sich dann auf ihre Speisen und die Unterhaltung mit ihrem Haushofmeister Mersu gesammelt.
    Als es kühler wurde, entzündete man Kohlenbecken. Der Kaufmann verbeugte sich dankbar und ging nach Haus. Die Priester entfernten sich. Seqenenre auf seiner niedrigen Estrade blickte sich in dem sich leerenden Saal um und merkte, dass sich der Zeitpunkt der Abrechnung nicht länger hinausschieben ließ. Die Diener hatten die Essensreste abgeräumt und sich verzogen. Chian spielte verstohlen mit dem Armband an seinem schmalen Handgelenk, und die Familie hatte Seqenenre erwartungsvoll die Gesichter zugewandt. Er nickte seinem Schreiber Ipi zu, und der Mann ging unverzüglich zu Chian und nahm die Rolle, die dieser ihm reichte. Auf Seqenenres Aufforderung hin erbrach er das Siegel und las laut vor.
    »Eine Botschaft von Awoserra Aqenenre Apophis, Herr der Zwei Länder, Geliebter des Seth, Geliebter des Re, der den Herzen Leben schenkt, an Seqenenre Tao, Fürst von Waset. Sei gegrüßt! Es betrübt mich, dass ich meinem Freund Seqenenre dieses anbefehlen muss, doch der Nilpferdsumpf, der sich in Waset befindet, muss beseitigt werden, da mir das Gebrüll der Tiere Tag und Nacht in den erhabenen Ohren dröhnt und ich keinen Schlaf mehr finde. Leben, Gesundheit und Wohlstand für dich und deine Familie. Möge dir Sutech, der Erhabene, gewogen sein und Horon dir Glück bringen. Ich sehe deiner bestätigenden Antwort entgegen.«
    Raschelnd rollte sich die Rolle wieder auf. Wortlos streckte Seqenenre die Hand aus, und Ipi ließ den Papyrus so schnell los, als hätte er sich die Finger daran schmutzig gemacht. »Chian«, sagte Seqenenre gelassen, »du bist zweifellos müde. Du darfst dein Lager aufsuchen.« Sichtlich erleichtert verbeugte sich der Herold.
    »Sei bedankt, Fürst«, erwiderte er. »Ich muss morgen früh aufbrechen, denn ich möchte schnell nach Auaris zurück und habe den Nordwind gegen mich. Ich danke dir für deine Nachsicht.« Er verneigte sich flüchtig vor der übrigen Familie und war verschwunden.
    Eine geraume Weile rührte sich niemand. Die Lampen brannten niedriger, und lange Schatten krochen in den hohen Raum, schlängelten sich über den Fußboden. Die Kohlenbecken fauchten und gaben wieder Ruhe. Dann machte Tani den Mund auf. Ihre Stimme zitterte. »Vater, du wirst doch die Nilpferde nicht töten?«, bat sie. »Gewiss meint der König nicht, was er da sagt! Ohne sie wären die Sümpfe wie die Wüste!«
    »Das müssen wir nicht ausführlich besprechen«, sagte Tetischeri entschieden. »Apophis ist wahnsinnig. Wahrscheinlich hat er bereits vergessen, dass er dieses dumme Zeug überhaupt diktiert hat. Wirf es in das

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