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Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Armeslänge von sich.
    Tan nahm es ihm aus der Hand und musterte es. »Jiefang«, verkündete er. »Das Emblem von der Kühlerhaube.« Auf den Straßen der Region waren die verbeulten Lastwagen der Marke Jiefang ein vertrauter Anblick. Sie wurden erst dann nach Tibet geschickt, wenn sie andernorts bereits ein Fahrzeugleben lang treue Dienste geleistet hatten.
    Li nahm die Plakette und rief dem Mann hinter ihm eine kurze Anweisung zu, der daraufhin eine kleine Klarsichttüte aus Plastik hervorholte. Mit feierlicher Geste ließ Li das Chromteil in die Tüte fallen und bedachte Shan mit einem hämischen Blick.
    »Sie sollten sich amerikanische Filme anschauen«, erklärte Li und trat an den Rand des Betts. »Überaus lehrreich. Die Unversehrtheit des Beweismaterials ist von ausschlaggebender Bedeutung.« Der Fund hatte ihn regelrecht angespornt, und so riß Li das Bettzeug herunter. Nachdem er dort nichts weiter entdecken konnte, kippte er erst die Sperrholzplatte um und tastete dann mit einer Hand die Hohlräume der Schlackebrocken ab. Bei dem letzten der Steine blickte er siegessicher auf und zog einen Rosenkranz aus Plastikperlen aus dem Versteck.
    »Die Limousine. Es ist offensichtlich.« Li ließ die Perlen vor Shans Gesicht baumeln. »Als Belohnung für die Komplizenschaft bei dem Mord hat er Ankläger Jaos Limousine mit der roten Standarte erhalten.« Er ließ die Gebetskette in eine weitere Plastiktüte fallen.
    Yeshe trat unbeholfen vor die Regale mit den Autoteilen und fing an, geistesabwesend die Kartons herauszuziehen. Dabei fiel eine verschlissene Postkarte zu Boden, ein Bild des Dalai Lama, das schon vor einigen Jahrzehnten aufgenommen worden war.
    »Hervorragend!« rief Li, schnappte sich das Foto und klopfte Yeshe auf die Schulter. »Du lernst, Genosse.«
    Yeshe starrte Li verdutzt an. »Man darf solche Bilder heutzutage besitzen«, sagte er, »solange man sie nicht öffentlich zur Schau stellt.« Er klang nicht unbedingt so, als würde er Streit suchen, aber dennoch schwang ein herausfordernder Unterton in Yeshes Stimme mit, der nicht nur Shan überraschte, sondern ihn selbst vielleicht noch mehr verblüffte.
    Li schien es nicht zu bemerken. Er wedelte mit dem Foto wie mit einer Fahne. »Kann sein, aber sieh doch nur, wie alt es ist. Es war illegal, als es aufgenommen wurde. So bauen wir unsere Fälle auf, Genosse.« Ein Assistent streckte die nächste Plastiktüte aus, und Li steckte die Postkarte hinein.
    Shan ging zu dem Fenster am anderen Ende des Raums und rieb ein Guckloch in den Schmierfilm, von dem die Scheibe überzogen war. Draußen konnte er ihre Fahrzeuge sehen. Jemand rauchte mit Sergeant Feng eine Zigarette. Shan rieb das Glas noch sauberer. Es war Leutnant Chang. Instinktiv wich Shan einen Schritt zurück. Dabei streifte etwas seinen Fuß. Es war einer der Schuhe. Er hob ihn auf und fuhr mit dem Finger an der Kante entlang. Der Schuh bestand aus billigem Vinyl und war von einer dicken Staubschicht überzogen. Er war neuwertig und vermutlich noch nie getragen worden, aber dennoch war er von einer dicken Staubschicht überzogen. Shan nahm den zweiten Schuh. Auch dieser schien ungetragen zu sein, und er war ebenfalls für den linken Fuß bestimmt. Shan kehrte zu den Überresten des Bettes zurück und durchsuchte sie noch einmal. Weitere Schuhe waren nicht vorhanden.
    »Und diesen Mann hat die Öffentliche Sicherheit als unbedenklich eingestuft.« Li hielt den kleinen Buddha empor.
    »Ein kleiner Mann mit einem fetten Bauch stellt nichts Illegales dar«, merkte Tan frostig an.
    Li bedachte den Oberst mit einem herablassenden Blick. »Genosse Oberst, der kriminelle Verstand ist Ihnen offenbar kaum vertraut.« Er unterstrich diese Bemerkung mit einem zufriedenen Lächeln, streckte dann den Arm aus und ließ den Buddha in die nächste Tüte fallen, die einer seiner Assistenten ihm entgegenhielt.
    Vor der Garage hatte sich eine kleine Menschenmenge gebildet. Als Tan erschien, huschten die Leute wie verängstigte Tiere auseinander und verschwanden in einer schmalen Gasse. Nur ein Kind blieb zurück, eine kleine Gestalt von drei oder vier Jahren, die in ein Gewand aus schwarzem Yakfell gehüllt war, das von einer Schnur zusammengehalten wurde. Das Kind, dessen Geschlecht nicht eindeutig zu erkennen war, stand da und musterte Tan überaus neugierig.
    »Ich muß Balti finden«, sagte Shan zu dem Oberst. »Falls er verschwunden ist, dann wegen jener Nacht.«
    »Du hast Li doch gehört. Vermutlich ist

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