Der fremde Tote
seinem Theater auftreten würde. Mir hatte er das nie angeboten, dabei war ich wirklich grosse Klasse. Nikolaus versprach, ein gutes Wort bei Korbi für mich einzulegen. Der aber meinte bloss, ich solle ihm so schnell wie möglich das Drehbuch zu diesem aussergewöhnlichen Bühnenstück liefern.
13. Festlichkeiten
Einige Wochen waren seit unserem Abenteuer vergangen. In dieser Zeit schrieb ich hauptsächlich an der Geschichte, welche ich gehörig ausschmückte, für meinen Verlag. Einige weitere Wochen würde ich benötigen, um die Geschichte in ein Bühnenstück umzuschreiben für Korbi. Ich gönnte mir einen neuen Haarschnitt, kaufte mir einige neue warme Wintersachen und verwöhnte meine Frani. Aaron feierte seinen achtzigsten Geburtstag im grossen Rahmen. Korbi, ich und die übrige Theatergruppe waren eingeladen, ausserdem eine Vielzahl von Verwandten und Bekannten aus aller Welt und natürlich Anna, Aarons Tochter, welche beschlossen hatte, in die Schweiz zurückzukehren, um gemeinsam mit ihrem Mann das Schmuckgeschäft des Vaters zu übernehmen. Dem alten Mann fiel so eine schwere Last vom Herzen; sein Geschäft blieb in der Familie.
Ein weiteres, in den Augen der Lebendigen (die davon aber bis auf zwei Ausnahmen nichts mitbekamen) wohl sehr merkwürdiges Fest fand kurz vor Weihnachten und mitten in der Nacht auf dem Ernheimer Friedhof statt. Nikolaus, der sich toll bewährt hatte als Detektiv und Bewacher meiner Wenigkeit, wurde feierlich als würdiges Mitglied in die Gemeinschaft der Ernheimer Friedhofsbewohner aufgenommen. Korbi und ich tanzten und schwatzten bis in die frühen Morgenstunden mit unseren vitalen toten Freunden. Aber natürlich war Nikolaus der eigentliche Star. Stolz präsentierte er uns seine heimelige Behausung und seinen neuen Job als Gemeindeaufseher. Sein Vorgänger, so erklärten uns die Einheimischen geduldig, sei in eine neue Dimension eingetreten, oder für Korbi und mich besser verständlich, er sei von einer höheren Instanz abgeworben worden, um wichtige neue Aufgaben zu übernehmen. Seinen Wohnsitz jedoch behalte er bei. Die meisten, die ’befördert’ würden, täten dies. „Grundsätzlich ist ein Wohnortwechsel nicht verboten“, informierte uns der alte Amtmann Sanders über die Gepflogenheit der Toten, „doch die meisten bleiben hier bis in alle Ewigkeit.“ Man kenne einander, sei gut aufgehoben. Der Mensch bleibe halt, auch als Toter, ein Gewohnheitstier.
Bevor wir aufbrachen, nahm Eva Halme mich ein wenig zur Seite und sagte: „Raoul lebt auch hier. Das weißt du bestimmt. Er will dich treffen, aber allein. Er lebt hier sehr zurückgezogen. Manchmal reist er ins Land der Indianer, denen er sich sehr verbunden fühlt.“
„Ja, er war mein stolzer Indianer und ich seine Squaw. Ich freue mich darauf, ihn zu sehen. Sag ihm das bitte, ich werde ihn bald besuchen.“
„Na das wollen wir hoffen!“, dröhnte Robert Sanders fröhlicher Bass durch die Nacht. „Dein junger Freund hier ist ganz begierig, mehr über uns zu erfahren.“
Korbi lachte.
Wir schlenderten beide in Gedanken versunken zu der alten Fabrik ausserhalb des Dorfes, wo ich meinen Käfer geparkt hatte. „Weißt du was, eines Tages werde ich dieses Gebäude kaufen, und dann wird Ernheim sein eigenes Theater haben“, verkündete Korbi. Er umarmte mich und wirbelte mich durch die kalte, reine Luft.
„Vielleicht mögen sie aber lieber Kino?", japste ich atemlos. „Ich schlage einen Kompromiss vor: Dies hier wird ein Kulturzentrum – Kinoabende, Konzerte und Theater.“
14. Dunkle Schatten aus der Vergangenheit
Ich hatte mir eine böse Erkältung eingefangen und musste einige Tage das Bett hüten. Ab und zu rief meine Mutter an. Sie hätte mich gern besucht, doch die Grippewelle hatte auch sie erwischt. So bemitleideten wir uns mit heiserer Stimme und verschnupfter Nase durchs Telefon, gaben einander gute Ratschläge – Essigwickel, eiskaltes Cola trinken, mit Tigerbalsam die Brust einreiben – und mussten schliesslich nach einiger Zeit des Gejammers so sehr über uns lachen, dass uns sogleich ein böser Hustenanfall bremste und zwang, den Hörer wieder aufzulegen. Auch Aaron schaute einige Male vorbei. Er versorgte mich mit warmer Kräutersuppe, Lindenblüten- und Grüntee und erzählte mir – wie einem kleinen Kind – Geschichten, damit ich besser einschlafen könne. Auch um Frani kümmerte er sich rührend. Reinigte ihr Kistchen, schüttelte ihre Decken aus und fütterte sie mit
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