Der fremde Tote
Gefahr für uns darstellte. Ich hatte keine Lust, im Gefängnis zu landen für etwas, mit dem ich nichts zu tun hatte. Als wir am Hauptbahnhof ankamen, stiegen wir in ein Taxi und liessen uns zu unserem 5-Sterne-Hotel fahren. Das Appartement war eine richtige Luxussuite mit einem hellen, ganz aus Marmor bestehenden Badezimmer, einer riesigen Wanne mit vergoldeten Wasserhähnen und zwei Lavabos. Die Toilette befand sich in einem separaten Raum, wo auch noch eine Dusche zur Verfügung stand. Im hellen Wohnzimmer standen ein moderner Flachbildschirmfernseher; Sofa und Sessel waren aus einem weichen, ungeheuer teuer wirkenden Material gefertigt, und in der Mitte des Raumes stand ein prächtiger runder Tisch, geschmückt mit Blumen und gedeckt mit einer Flasche Champagner, Käse und Obst. Die breite Fensterfront erlaubte einen herrlichen Blick über die halbe Stadt, was in der Dämmerung mit all den Lichtern einfach märchenhaft wirkte. Obwohl dort unten emsiges Treiben herrschte, drangen die Strassengeräusche nur gedämpft zu unserer Suite herauf. Auch Nikolaus war sichtlich beeindruckt, dennoch mahnte er uns zur Eile. Zuerst führte er uns in ein nettes Lokal im Niederdorf, wo gemäss Nikolaus stets auch prominente Zeitgenossen anzutreffen waren. Und tatsächlich erkannte ich auf Anhieb einen Nachrichtensprecher vom Fernsehen sowie die Chefredakteurin einer Illustrierten an einem Tisch. Das kleine Restaurant war geschmackvoll eingerichtet und dezent dekoriert. Auf die Frage des gut aussehenden Oberkellners im schmucken schwarzen Frack und blendendweissen Hemd, ob wir reserviert hätten, antwortete ich automatisch: „Nein, aber wir sind drei Personen, eh zwei“, berichtigte ich mich nach einem unsanften Knuff von Nikoklaus in meine Hüfte. Der Oberkellner führte uns gemessenen Schrittes an einen kleinen Tisch. Neben uns thronte ein älteres Paar, das offensichtlich aus der Oper kam. Die füllige Dame hatte sich in ein nachtblaues Seidenkleid mit tiefem Ausschnitt gezwängt, während der schlanke, gut erhaltene Gatte in seinem perfekt sitzenden schwarzen Smoking wie ein englischer Edelmann aussah. Die beiden unterhielten sich gedämpft über eine berühmte Opernsängerin, welche ihre beste Zeit anscheinend hinter sich hatte. Der Dirigent und das Orchester wurden in den höchsten Tönen gelobt, während ein junger Tenor eher schlecht wegkam. Ich hörte den flüsternden Musikliebhabern noch ein Weilchen zu, bis ein anderes Paar meine Aufmerksamkeit erregte. Die dralle Blondine im silbernen, super kurzen Kleid und den hohen modischen Stiefeln spielte in irgendeiner Seifenoper mit, deren Name mir gerade nicht einfiel. Bei ihrem kleinen fetten Begleiter handelte es sich um Benno Zahnder, einer bekannten Unterweltgrösse aus der Stadt. Er machte in Immobilien, verdiente sein Geld aber wie man munkelte vor allem mit Waffengeschäften ins Ausland, vorwiegend in kriegsgeschüttelte, wirtschaftlich am Boden liegende Länder. Hoffentlich platzt du Fettwanst so wie deine Bomben explodieren und Kinder und andere unschuldige Zivilisten töten, dachte ich giftig. Einige Male stand Zahnder bereits vor Gericht. Doch immer kam er frei, dieses Unschuldslämmchen. Ein grosser Teil seines Vermögens ging für gerissene Anwälte und für Schmiergelder drauf. „Nun bestell schon endlich!“, flüsterte Korbi. Ich musste mich erst wieder zurechtfinden. Da ich keinen grossen Hunger hatte, bestellte ich einen Krabbensalat und eine Flasche Mineralwasser. Korbi entschied sich für Ente und eine Flasche italienischen Weisswein. Nikolaus wanderte derweil zwischen den Tischen herum und belauschte die Gespräche der Gäste. Hin und wieder zupfte er eine Krawatte zurecht oder piekste eine der Damen in den Nacken. Deren erstaunte Gesichter brachte Nikolaus so zum Lachen, dass er sich einmal gehörig verschluckte und hässlich zu husten begann. Mir war das sehr peinlich, bis ich mich erinnerte, dass die Leute ihn weder sehen noch hören konnten. Da begann ich das Treiben des Paten zu geniessen. Plötzlich erhob sich eine uralte Dame mit schneeweissem, tadellos frisiertem Haar. Sie rief den Kellner und wies anklagend auf Nikolaus. Vor Schreck liess ich meine Gabel fallen und rief halblaut: „Sie sieht ihn, du meine Güte, die kann Nikolaus sehen!“ – „Sei doch still, bitte!“, flehte Korbi mich an. „Auch wenn sie ihn sieht, das ist doch völlig egal. Der Kellner und die übrigen Gäste werden denken, sie habe nicht mehr alle Tassen im Schrank.
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