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Der freundliche Mr Crippen | Roman

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Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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Brief hervor, den die Canadian Pacific Company ihm am Morgen geschickt hatte, »hier sind die Anweisungen, die ich, wie gesagt, heute bekommen habe. Ich war Erster Offizier auf der
Zealous
und der
Ontario,
einmal zwei Jahre, einmal achtzehn Monate. Wir sind die meiste Zeit in Europa geblieben, damit ich öfter nach Hause kam. Ich glaube nicht, dass ich allzu viel Zeit damit zubringen möchte, übern großen Teich zu fahren – jetzt, wo wir ein Kind erwarten, sowieso nicht –, aber sie haben mich gefragt, und mir blieb kaum was anderes übrig. Sie haben versprochen, ich bin zur Geburt von Carter junior wieder da. Aber keine Angst, Käpt’n, ich habe Erfahrung, und ich weiß, was ich tue. Ehrlich gesagt, wäre ich auch lieber auf meinem gewohnten Schiff, genau wie Sie, da bin ich sicher, lieber Mr Sorenson als mich an Bord hätten. Aber so ist das Leben nun mal.«
    Kendall las den Brief ohne ein Wort und hörte nur Fetzen von Carters Erklärung, speicherte die Information, die er brauchte, und vergaß den Rest gleich wieder, ohne weiter darüber nachzudenken. Er seufzte und strich sich den schweren weißen Bart. Ihm blieb kaum eine Wahl, als die Umstände so zu akzeptieren, wie sie waren. »Und Mr Sorenson?«, fragte er nach einer Weile. »Für wie lange bleibt er außer Dienst?«
    »Gut sechs Wochen, wie man mir gesagt hat. Wie es scheint, war es eine ziemlich vertrackte Operation. Ein geplatzter Blinddarm ist kein Spaß, wissen Sie. Aber machen Sie sich keine Sorgen, Sir, Sie werden nicht sonderlich lange mit mir auskommen müssen. Mr Sorenson sollte in ein paar Wochen wieder einsatzfähig sein.«
    »Sehr gut, Mr Carter«, sagte Kendall und fand sich mit der Situation ab, war jedoch entschlossen, von Beginn an die Richtung vorzugeben. »Allerdings hielte ich es für angemessen, wenn Sie sich noch vor unserer Abreise zum Schiffsfriseur begäben. Ihr Haar ist verwildert, und ich dulde keine Schlampigkeit an Bord, schon gar nicht bei meinen höheren Offizieren, die den Männern ein Beispiel sein sollten.«
    Carter zögerte, nickte dann aber. Er fuhr sich mit der Hand durch die lockige Mähne, als würde ihn ein Haarschnitt seiner Kräfte berauben, wie bei Samson. »Verstehe, Sir«, murmelte er.
    »Im Übrigen wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie an Deck Ihre Mütze immer dabeihätten, entweder auf dem Kopf oder diskret unter dem Arm, wenn Sie mit einem weiblichen Passagier sprechen. Das sind Kleinigkeiten, wissen Sie, doch ich glaube, sie sind von entscheidender Bedeutung für unser berufliches Auftreten. Disziplin. Geschlossenheit. Gehorsam. Das sind wichtige Leitworte hier auf der
Montrose.
«
    Der Erste Offizier nickte wieder, sagte jedoch nichts. Kendall fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und war überrascht, wie trocken und rissig sie sich anfühlten. Sollte er sie zu einem plötzlichen Lächeln verziehen, würden sie wohl aufspringen und bluten.
    »Vielleicht wären Sie auch so gut, mir eine vollständige Passagier- und Besatzungsliste zu bringen, nur für den Fall, dass es noch andere Überraschungen gibt, über die mich unser Arbeitgeber versehentlich nicht informiert hat. Wir stechen um vierzehn Uhr in See, richtig?«
    »So ist es, Sir.«
    »Dann müssen wir dafür sorgen, dass alle Besucher das Schiff bis spätestens dreizehn Uhr dreißig verlassen haben, und versichern Sie sich, dass sämtliche Passagiere an Bord sind. Sie werden mich als pünktlichen Mann kennenlernen, Mr Carter, der kein Verständnis für unnötige Verzögerungen hat. Das Geschäft der Atlantiküberquerungen wird von Pünktlichkeit und Geschwindigkeit bestimmt. Wir konkurrieren jeden Tag aufs Neue mit schnelleren und besseren Schiffen, und ich habe den Passagieren und der Flotte der Canadian Pacific Company gegenüber die Pflicht, dafür zu sorgen, dass es nicht zu Verspätungen kommt. Deswegen erwarte ich so viel von meinen Offizieren und Seeleuten, Mr Carter. Deswegen erwarte ich viel von Ihnen.«
    »Ich bringe Ihnen die Liste sofort in Ihre Kabine, Sir«, sagte Carter jetzt mit leiserer Stimme. Er war die Art von strenger Autorität, wie Kapitän Kendall sie ihm gegenüber zeigte, nicht gewohnt.
    Eine Stunde später saß Kendall allein in seiner Kabine und hörte, wie das Schiffshorn erklang und alle auf dem Schiff, die nicht nach Kanada wollten, dazu aufforderte, sofort an Land zu gehen. Er sah auf die Uhr. Es war dreizehn Uhr. Gewöhnlich dauerte es eine halbe Stunde, die Besucher von den Decks zu holen und die letzten

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