Der Frevel des Clodius
die verdrehte Geschichte eines Tyrannenmords zu stoßen. Nehmen Sie beispielsweise die Ermordung von Julius Caesar. Es gibt eine offizielle Lesart, die von unserem Ersten Bürger gestützt wird und so etwas wie Antigonus' »politische Wahrheit« darstellt. Ich kenne eine ganz andere Geschichte, und ich war, im Gegensatz zu unserem Ersten Bürger, damals dabei. Zweifelsohne gibt es noch zahllose andere Versionen, die das beste Licht auf den jeweiligen Erzähler und seine Vorfahren werfen. Hätten wir einen dieser nekromantischen Hexenmeister, der die Schatten des göttlichen Julius, des Cassius, Brutus, Casca und, sagen wir, fünf weiterer Beteiligter (neun ist eine göttliche Zahl) für uns heraufbeschwören könnte, würden wir meines Erachtens neun verschiedene Berichte über die Ereignisse an jenen schicksalhaften Iden des März hören. Der Nebel menschlicher Selbstsucht ist allemal so dicht wie der, den Zeit und Entfernung aufziehen lassen.
Genug. Ich werde ein anderes Mal über den Tod Caesars schreiben, wenn mein Alter, meine Gesundheit und der Erste Bürger es zulassen. Statt dessen möchte ich hier über etwas berichten, was sich früher ereignet hat, siebzehn Jahre früher, um genau zu sein, über weniger spektakuläre Geschehnisse, an die man sich jedoch bis heute erinnert und die damals von großer Tragweite zu sein schienen.
Und Sie können meinen Worten glauben, denn ich war damals dabei und habe alles mit eigenen Augen gesehen.
Außerdem lebe ich schon zu lange und habe schon zuviel gesehen, um mich noch darum zu sorgen, was die Zeitgenossen von mir denken, von der Nachwelt ganz zu schweigen.
Ich freute mich auf ein gutes Jahr. Ich habe stets optimistisch in ein neues Jahr geblickt, aber die Ereignisse haben meine Zuversicht fast immer Lügen gestraft. Dieses Jahr sollte da keine Ausnahme machen. Ich war jung, knapp neunundzwanzig, und es braucht schon einiges, um die natürliche, fröhliche Unbekümmertheit der Jugend zu dämpfen. Die Werkzeuge, mit denen mein Optimismus zerschlagen werden sollte, lagen schon in großen Mengen bereit.
Als ich auf die Stadt zuritt, sah alles rosig aus. Ein Grund meiner Fröhlichkeit kampierte vor den Stadtmauern: ein riesiges Lager von Soldaten, Gefangenen und Kriegsbeute, die, verstaut in Schuppen und unter Planen, allein Hektare von Land in Anspruch nahm. Pompeius war aus dem Orient zurück, und das Lager bereitete seinen Triumphzug vor. Bis zu diesem Tag durfte Pompeius die Stadt nicht betreten, und das war mir nur recht. Die Anti-Pompeius-Fraktion im Senat hatte die Genehmigung des Triumphs bis jetzt erfolgreich blockiert.
Pompeius konnte meinetwegen warten, bis ihn die Götter zu sich riefen, was - ungeachtet dessen, was er vielleicht glaubte ziemlich unwahrscheinlich war.
Vor mir lag, das wußte ich, ein geschäftiges Jahr. Mein Vater war zum Censor gewählt worden, ein Amt mit vielen Pflichten.
Ich ging davon aus, daß er mich mit der Volkszählung beauftragen würde, da es sich dabei um lästige und anstrengende Arbeit handelte. Er hätte dann Zeit, sich ganz auf die befriedigende Säuberung des Senats von unwürdigen Mitgliedern und die lukrative Verpachtung öffentlicher Dienstleistungen zu konzentrieren.
Das war mir egal. Ich würde in Rom sein! Ich hatte das letzte Jahr in Gallien verbracht, wo nicht nur das Klima unbekömmlich ist, sondern die Leute auch nicht baden. Die Küche ist schlecht, und auch tausend Jahre römischer Zivilisation würden den Galliern nie beibringen können, wie man einen trinkbaren Wein macht. Ihre Gladiatoren waren zweitklassig, und die einzigen überzeugenden Errungenschaften des Landes waren seine großartigen Wagenlenker und prächtigen Rennpferde. Die Circusse waren gemessen an römischen Standards schäbig und gewöhnlich, aber die Rennen waren atemberaubend. Außerdem hatte ich hauptsächlich mit der Armee zu tun, obwohl ich stets einen äußerst unrömischen Widerwillen gegen das Soldatenleben gehegt habe. Es hatte keine Kämpfe gegeben, was die Sache langweilig und wenig einträglich machte; ich war den erniedrigenden Pflichten eines Zahlmeisters nachgekommen. Soldaten können sich ein Grinsen selten verkneifen, wenn sie einen in seiner Parade-Uniform herausgeputzten Offizier sehen, der ihnen ihren Sold Münze für Münze vorzählt und den Erhalt in einem Buch quittieren läßt.
All das lag hinter mir, und mein Herz jubilierte, als ich mich dem Ostischen Tor näherte. Ich hätte auch einen vom Hafen flußaufwärts
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