Der Fruehe Vogel Kann Mich Mal
kurz: das Zeitgesetz von 1893, machte den Irritationen ein Ende. Seitdem orientiert sich die Zeitmessung in Mitteleuropa an der mittleren Sonnenzeit des 15. Längengrades östlich von Greenwich und ist allgemein verbindlich – auch wenn es in Berlin im Winter bereits dunkel ist, während sich in München trinklustige Menschen noch bei Dämmerung ein Weißbier nach Feierabend genehmigen.
Seitdem stirbt die Unpünktlichkeit aus; »Arbeitsbeginn acht Uhr« heißt nichts anderes als »Arbeitsbeginn acht Uhr«, und zwar für alle. Und solche allgemeinen Verbindlichkeiten schaffen Normen, die mit moralischen Appellen untermauert werden. Kalendersprüche wie »Zeit ist Geld« oder »Morgenstund hat Gold im Mund« bilden den Überbau dieser modernen Gesellschaft, die sich im Takt der Uhr bewegt und über deren Herdentrieb die Einwohner eines mittelalterlichen Dorfes erstaunt den Kopf geschüttelt hätten.
Die Entdeckung der inneren Uhr
Was unsere mittelalterlichen Vorfahren ganz selbstverständlich auslebten, wurde in den 1970ern Gegenstand der Forschung. Dass Menschen einen unterschiedlichen Rhythmus besitzen, ist jedoch schon lange im Alltagswissen verankert. Ausgeprägte Morgenmenschen bezeichnet man als »Lerchen«. »Es war die Nachtigall und nicht die Lerche«, versucht Julia ihren Romeo nach ihrer ersten Liebesnacht zu beruhigen und zum Bleiben zu überreden, denn die Lerche stimmt ihr Lied erst in der Morgendämmerung an. Das andere Extrem sind die sogenannten »Eulen« oder »Nachteulen«. Sie schleppen sich morgens nur mit Mühe zur Schule, zum Studium oder zur Arbeit, sind dann aber dafür abends besser drauf. Die Eulen-Vögel sind nachtaktive Tiere, keine Vielschläfer. Es ist also völlig unsinnig, ihren menschlichen Pendants Faulheit und Undiszipliniertheit vorzuwerfen. Zudem genießen Eulen in unserer Kultur den Ruf, klug und weise zu sein. Aber auch im ostasiatischen Myanmar schenkt man Schulanfängern zum ersten Schultag statt einer Tüte mit Leckereien ein Pärchen lackierter Eulenfiguren, auf dass sich der Kinder Wissen und Weisheit mehren mögen.
Dass Eulen jedoch nicht schwach im Charakter sind, nur weil sie es nicht schaffen, sich der sozialen Norm der frühen Aufgewecktheit anzupassen, sondern dass ihr Aufwach-Timing individuell und genetisch bedingt ist, hat sich erst in jüngster Zeit in den eher abgeschlossenen Zirkeln der Schlafforschung als Erkenntnis etabliert. Zum Allgemeinwissen zählt es leider noch lange nicht. Zwar wird zur Zeitumstellung im Sommer, wenn alle für wenige Tage und Wochen in die Lage eines von der sozialen Norm malträtierten Langschläfers versetzt werden, in den Medien immer wieder darauf aufmerksam gemacht, aber kaum ist für die Lerchen der Spuk der Startschwierigkeiten vorüber, gelten wieder die alten Regeln. Dabei ist klar, dass auch ihr Leben nach einer inneren Uhr getaktet ist – die halt jener der sozialen Regeln entspricht.
Doch was ist eigentlich eine innere Uhr? Und wie funktioniert sie?
Dass es in der Pflanzenwelt so etwas wie eine innere Uhr gibt, die unabhängig von äußeren Einflüssen das Leben taktet, hat vor knapp 300 Jahren der französische Geophysiker Jean Jacques d’Ortous de Mairan herausgefunden. Der Forscher, der Mitglied der Pariser Akademie der Wissenschaften war, hatte auf seinem Schreibtisch eine Mimose stehen, an der ihm eines Tages Folgendes auffiel: Während es draußen noch dämmerte, hatte die Pflanze bereits ihre gefiederten Blätter geschlossen – sie war quasi zu Bett gegangen. Im Rückblick erinnerte er sich, dass sie das jeden Abend in etwa zur gleichen Zeit tat und morgens mit wunderschön gefiederten Blättern den Tag begrüßte. Durch welchen Mechanismus wurde dieser Tag- und Nachtwechsel vorgegeben? Und in welchem Zusammenhang stand er mit dem Sonnenlicht? Kurz entschlossen sperrte d’Ortous de Marain die Mimose und einige ihrer Artgenossen über Nacht in einen schweren Eichenschrank und dunkelte den Raum, in dem dieser stand, vorsichtshalber auch noch mit blickdichten Samtvorhängen ab. Zu seinem Erstaunen öffneten und schlossen sich die Pflanzen trotz der völligen Dunkelheit, die sie umgab, in einem präzisen Rhythmus. Der Forscher schloss daraus, dass dieser Rhythmus nicht vom Sonnenlicht bestimmt wurde, sondern von einer Art inneren Uhr.
Auch andere Pflanzen takten ihre Existenz nach einem innerlich festgelegten Rhythmus, öffnen und schließen allerdings ihre Blüten und Blätter nicht immer zur selben Zeit. Dem
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