Der Fruehe Vogel Kann Mich Mal
Berechtigung.
Dies wurde jedoch längst nicht überall so gehandhabt. Jürgen Zulley und Barbara Knab schreiben in ihrem Buch Unsere innere Uhr : »Das gesamte Mittelalter hindurch bis weit in die Neuzeit gab es keinen einheitlichen Beginn des Tages. Die Orte konnten ihre Zeit mehr oder minder autonom einteilen, und so begannen die einen ihren Tag morgens, die anderen mittags und wieder andere um Mitternacht. Erst seit dem neunzehnten Jahrhundert hat sich ganz Europa und inzwischen die ganze Welt auf die Mitternacht bei Tagesbeginn geeinigt – den Zeitpunkt, der nicht nur im alten Rom galt, sondern auch im klassischen China.« [13] Nicht zuletzt dank Napoleon übrigens, zu dessen wichtigsten Bestrebungen die Vereinheitlichung diverser zeitlicher und räumlicher Maße zählte.
Lange Zeit kannte man in unseren Breitengraden nur einen zeitlichen Orientierungspunkt: Wenn die Sonne am höchsten stand, dann war Mittag – mehr brauchte man nicht zu wissen in den kleinen Gemeinschaften und Weilern rund um Marktplatz und Kirchturm. Wie beschaulich das Leben weit vor der Kapitalisierung der Märkte und der zeitlichen Gleichschaltung aussah, schildert Emanuel Le Roy Ladurie in einer Studie über die Lebensumstände im mittelalterlichen Dorf Montaillou. Ob Schäfer oder Bauer, Schuhmacher oder Tischler, Magd oder Knecht – die Arbeit wurde nicht als derart verpflichtend oder fesselnd empfunden, dass man sich nicht jederzeit von ihr hätte losreißen können. Man kam und ging mehr oder weniger, wann man wollte, und schlief, so lange es einem guttat und wann einem danach verlangte. Ob morgens länger oder mittags, weil die Sonne zu heiß brannte – niemand nahm an einem Nickerchen Anstoß oder hätte gar gewagt, einen Langschläfer als faul, nichtsnutzig oder charakterschwach zu bezeichnen.
Erst die Einführung der Uhr, die mit der Ausweitung der Handelszonen über die Dorfgrenzen hinaus einherging, sollte dies grundlegend ändern. Der Versuch, die Menschen im Takt der Uhr gleichzuschalten, um sich zu bestimmten Zeiten für Märkte und Handel zu verabreden, fing mit der Einführung der Kirchenuhr Ende des 14. Jahrhunderts an. Der Rhythmus, den diese mechanischen Räderwerke vorgaben, bereitete die ungezwungene Dorfgemeinschaft jedoch schonend auf eine Welt der Pünktlichkeit und Arbeitskontrolle vor. Denn die mechanischen Ur-Uhren schienen sich der Lebensweise der Dorfleute anzupassen. Sie waren so ungenau, dass sie sich bis zu einer Stunde am Tag verspäteten oder verfrühten. Mehr Präzision kam erst mit dem Pendel. Leonardo da Vinci hatte dessen Eigenschaften als Erster untersucht, Galileo Galilei schließlich erkannte, dass die Schwingungsfrequenz von der Pendellänge abhängt. Das war 1581, doch erst um 1700 war es möglich, dieses Wissen beim Bau von Uhren umzusetzen. Diese besaßen sogar einen Minutenzeiger. Die ersten Taschenuhren wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts üblich.
Die Diktatur der Zeit setzte allerdings erst mit der Entstehung der Großfabriken in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein, als aus freien Bauern, die massenweise ihr Land abtraten, Lohnknechte der Industrie wurden. In den Anfangsphasen der Industrialisierung mahnte noch eine große Uhr über dem Eingang die Arbeiterinnen und Arbeiter zur Pünktlichkeit. Zudem folgte bald die Einführung der Stechuhr, die minutiös das Kommen und Gehen der Werkstätigen aufzeichnete. Erst mit diesem Akt wurde Zeit wirklich zu Geld.
Freilich pulsierte Mitte des 19. Jahrhunderts immer noch jeder Ort nach seinem eigenen Takt, auch wenn die Orte größer wurden und mit ihnen die lokalen Zeitzonen. Die Lokalzeit der jeweiligen Hauptstadt gab vor, wie die Menschen zu ticken hatten. In Bayern beispielsweise galt die Münchener Zeit, in Preußen die Berliner Zeit, die sieben Minuten vor dem Rhythmus lag, den die Isar-Stadt vorgab. In Wien orientierte man sich an der Prager Zeit, es gab aber auch andere lokale Bezugsgrößen wie die Lindauer, die Budapester oder die Lemberger Zeit. Schwierigkeiten bereitete das niemandem, denn Handel und Aktivitäten waren auf einen überschaubaren Raum begrenzt, aber mit der Einführung des Zugverkehrs führte dies unweigerlich zu verstärkten Unsicherheiten in der Ausgestaltung der Fahrpläne: Wenn ein Zug aus Wien (Prager Zeit) über München (Bayerische Zeit) nach Berlin (Berliner Zeit) fuhr, welche Ankunfts- und Abfahrtszeiten waren da gültig?
Das Gesetz betreffend die Einführung einer einheitlichen Zeitbestimmung ,
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