Der Frühling - Hyddenworld ; 1
standen sie da und erfreuten sich am Anblick des sauberen Wassers, das direkt aus dem Boden sprudelte.
»Hier kann man leicht nachvollziehen, warum Quellen in heidnischer Zeit so häufig zu einer Stätte der Verehrung wurden«, bemerkte Margaret. »Sie sind ein Anfang, ein Born des Lebens, und das ist auch der Grund, warum Forscher immer so besessen davon waren, die Quellen großer Flüsse aufzuspüren. Es ist wie eine Rückkehr in die ursprüngliche Heimat. Viele solche Plätze werden mit Gottheiten in Verbindung gebracht, aber dieser hier ist am bekanntesten für einen einfachen Handwerker, der tatsächlich einmal hier gelebt und Objekte erschaffen hat, die heute in unseren bedeutendsten Museen zu finden sind.«
Dann erzählte sie ihrem andächtig lauschenden Publikum die Legende von Beornamund.
»Wie nahe dies alles der Wahrheit kommt, werden wir nie erfahren, aber historisch gesichert ist, dass er am Rea gelebt hat, irgendwo zwischen hier und dem größeren Fluss, in den er mündet.«
»Dann liegt der verlorengegangene Stein des Anhängers vielleicht noch hier irgendwo«, sagte Katherine versonnen.
»Vielleicht«, erwiderte Margaret. »Ich möchte es gern glauben.«
Jack war ein Stück gegangen und blickte jetzt hinüber nach Birmingham,obwohl von der Stadt wenig mehr zu sehen war als eine blaue Dunstglocke, aus der einige Hochhäuser und etliche Baukräne ragten, die verrieten, dass sie weiter wuchs.
Er dachte an seine Begegnung mit der Friedensweberin auf dem White Horse Hill. Sie hatte einen langen dunklen Mantel getragen, der ihren Hals vollständig bedeckte. Er hätte den Anhänger unmöglich sehen können, selbst wenn sie ihn getragen hatte.
»Jack?«
Er drehte sich nicht um, sondern blickte weiter zur Stadt hinüber.
»Es war also Beornamund, der dem Ort seinen Namen gegeben hat«, beendete Margaret ihren Vortrag. »Eigentlich lautete er Beornamunds
Ham
oder Siedlung, was im Lauf der Zeit in Beornamundingaham abgewandelt wurde, und manchmal sogar in Brummagem …«
Jack erschauderte bei dem Gedanken, was für eine Katastrophe nötig wäre, um eine so große Stadt in Trümmer zu legen.
Die bösen Vorahnungen, die er gelegentlich in Woolstone gehabt hatte, waren schon schlimm genug gewesen, aber hier waren sie tausendmal schlimmer.
Es war, als sei die Sonne plötzlich verschwunden und als ob alles erkaltete.
Als ob die bösen Geister sie sogar bis hierher verfolgten.
»Gehen wir«, sagte er. »Okay?«
Schweigend kehrten sie zum Auto zurück.
41
ALTE WUNDEN
K atherine wurde mit jedem Tag ausgeglichener, gesprächiger und weniger reizbar. Eines Nachmittags, als die Vorbereitungen für das Freudenfeuer fast abgeschlossen waren, lagen die beiden im Gras und redeten.
»Meine Mum hat Freudenfeuer geliebt, mein Pa aber auch, bevor … du weißt schon.«
Jack merkte, während er so auf dem Rücken lag, dass seine Gedanken abgeschweift waren. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass Katherine soeben etwas sehr Ungewöhnliches getan hatte: Sie hatte über ihren Vater gesprochen.
»Du sprichst sehr selten über deinen Dad«, bemerkte er ruhig.
»Ich … äh, ja. Aber seit Mum tot ist, denke ich oft an ihn.«
»Kannst du dich gut an ihn erinnern?«, fragte er und setzte sich auf. Katherine sah ihn verdutzt an.
Jack dachte an ein Bild, das er nicht vergessen konnte: ein brennender Mann, der verzweifelt versuchte, die Autotür auf Katherines Seite zu öffnen, und der, als ihm dies nicht gelang, langsam, quälend langsam in den Flammen zusammensackte und eins mit ihnen wurde. Das letzte Bild eines Sterbenden, ehe er hinter dem brennenden Auto seinem Blick entschwand. Dieses Bild verfolgte ihn bis heute.
»Nein«, antwortete Katherine. »Ich kann mich nicht besonders gut an ihn erinnern, aber …«
»Aber was?«
»Aber ich weiß, wie er ausgesehen hat, zumindest von Fotos. Und manchmal … glaube ich mich daran zu erinnern, wie …«
»Wie …?«
Katherine zuckte halb mit den Schultern und sah kurz weg.
Dann sagte sie: »… wie er mich hochgehoben hat, wie er mich indie Arme genommen hat. Ich kann mich genau erinnern, dass er das oft getan hat.«
Sie sahen einander in die Augen, und Jack wusste, dass sie nicht die ganze Wahrheit sagte. Es waren
seine
Arme, an die sie sich am deutlichsten erinnerte, und daran, wie er sie aus dem Wagen gezogen hatte. Diese Wahrnehmung hatte sie in eine letzte Erinnerung an ihren Vater umgewandelt, denn sie brauchte zumindest etwas von ihm, woran sie sich klammern
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