Der fünfte Attentäter: Thriller (German Edition)
Archivare diejenigen sind, die nie aufhören zu suchen. Er hat das immerhin zweiundsiebzig Jahre lang praktiziert.
Er ist außerdem derjenige, der mich in den Culperring eingeführt hat.
Dieser Ring wurde von George Washington ins Leben gerufen.
Als ich das hörte, war ich ganz schön erstaunt. Es war tatsächlich der George Washington.
Damals, vor zweihundert Jahren, während des Unabhängigkeitskrieges hat Washington seinen eigenen privaten Spionagering aufgezogen. Das hat ihm nicht nur geholfen, den Krieg zu gewinnen, sondern auch das Präsidentenamt zu schützen. Dieser Ring existiert heute noch, und jetzt gehöre ich ebenfalls dazu.
»Beecher, du wusstest, dass er es uns nicht leicht machen würde.«
»Das verlange ich auch gar nicht; ich habe nur gehofft, es wäre überhaupt möglich. Aber es sieht so aus, als gäbe es schlichtweg nichts zu finden.«
»Es gibt immer irgendetwas zu finden. Das verspreche ich dir.«
»Ja, und zwar versprichst du mir das jetzt schon seit zwei Monaten«, erwidere ich. Denn seit dieser Zeit tauchen Totte und ich jeden Morgen um sieben hier auf, bevor irgendein anderer Archivar sich blicken lässt, und forsten insgeheim alle Präsidentenakten durch, derer wir habhaft werden können.
»Was hast du erwartet? Dass du einfach unter P nachsiehst und alles findest, was du unter Böser Präsident gesucht hast?«, meint Totte provozierend.
»Genau genommen wäre Böser Präsident unter B abgelegt.«
»Nur, wenn es sein Vorname ist. Obwohl das tatsächlich von der Kataloggruppe abhängt«, erklärt Totte in der Hoffnung, dieser lahme Witz werde die Stimmung etwas lockern. Tut er aber nicht. »Die Sache ist die, Beecher, wir kennen den entscheidenden Teil: Wir wissen, was Wallace und Palmiotti getan haben; wir wissen, wie sie es getan haben; und wir wissen sogar, dass sie, als sie mit ihrem Baseballschläger und den Wagenschlüsseln fertig waren, einen jungen Mann einfach ins Dauerkoma fallen und schließlich sterben ließen. Jetzt müssen wir das nur noch beweisen. Ich glaube, wir sollten etwas mehr Dampf machen.«
Während Totte das sagt, streicht er mit den Fingerspitzen über die Metallenden seiner Bolo-Tie. Ihm ist nicht klar, dass diese Cowboy-Krawatte ebenso altmodisch ist wie die Scottsdale-Boutique, in der er sie 1994 gekauft hat. Aber ich kenne Totte, und ich kenne diesen Tonfall.
»Warum hast du gerade gesagt, dass wir mehr Dampf machen müssen?«, erkundige ich mich.
Zuerst bleibt Totte stumm und wirft einen prüfenden Blick in den Flur.
»Totte, wenn du etwas weißt …«
»Einer unserer Jungs«, beginnt er. Diesen Ausdruck benutzt er nur, wenn er über andere Mitglieder des Culperrings spricht. »Einer vonihnen hat sich mit jemandem vom Secret Service unterhalten und sich danach erkundigt, was der Service über dich weiß. Und weißt du, was der Mann vom Service geantwortet hat? Nichts. Sie wissen gar nichts. Weißt du, was das bedeutet, Beecher?«
»Das bedeutet, dass sie sich meinetwegen den Kopf zerbrechen.«
»Nein. Es bedeutet, dass der Präsident schon längst weiß, wie das hier enden wird. Und dass er bereits an seiner Coverstory arbeitet.«
Totte lässt seine Worte auf mich wirken, während er erneut prüfend in den Gang späht. Ich rede mir ein, dass der Beweis immer noch in den Archiven versteckt ist … irgendwo … in irgendeinem Aktenordner. Eine Nadel in einem nicht gerade kleinen Heuhaufen.
Im Nationalarchiv lagern die wichtigsten Unterlagen der US-Regierung, angefangen von dem Original der Unabhängigkeitserklärung bis hin zu Jackie Kennedys pinkfarbenem Pillendosen-Hut. Oder von Reagans ursprünglicher »Reich-des-Bösen«-Rede bis hin zu den Ortungskarten, mit deren Hilfe wir Bin Laden aufgespürt und erledigt haben. In Ordnern mit über zehn Milliarden Seiten katalogisieren wir jede Aufzeichnung und jeden Bericht, der jemals von der Regierung erstellt worden ist.
Das bedeutet, dass dies hier ein ganzes Gebäude voller Geheimnisse ist – vor allem von Geheimnissen amtierender Präsidenten. Denn wir lagern alles, von ihren Eintragungen ins Klassenbuch der Grundschule über ihre Jahrbücher bis hin, jedenfalls theoretisch, zu alten, vergessenen medizinischen Berichten, die vielleicht beweisen können, was Präsident Wallace tatsächlich in jener Nacht vor sechsundzwanzig Jahren getan hat.
»Hast du daran gedacht, seine Marathon-Akten anzufordern?«, erkundigt sich Totte.
»Habe ich bereits erledigt. Das hier ist heute Morgen
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