Der fünfte Attentäter: Thriller (German Edition)
gekommen.«
Seit beinahe zwei Monaten haben wir jedes einzelne Puzzlestück von Präsident Wallaces Krankengeschichte umgedreht, angefangen bei seiner Zeit im College, als er beim ROTC war, dem Reserve-Korps der Offiziere, bis hin zu der Gesundheitsuntersuchung, der er sich unterzog, als seine Tochter geboren wurde und er seine erste Versicherungspoliceabschloss. Nicht zu vergessen die Röntgenaufnahmen, die damals gemacht wurden, als er noch Gouverneur war und beim Marinemarathon mitlief, obwohl er einen Haarriss im Fuß hatte. Dieser Bruch brachte Wallace nationale Aufmerksamkeit und in der Öffentlichkeit den Ruf eines Politikers ein, der niemals aufgibt. Wir hatten uns von diesen Aufnahmen noch mehr erhofft. Aber wie jedes medizinische Dokument, das in Beziehung zum Präsidenten stand, war jede Akte, die zurückkam, leer. Einfach leer.
»Er kann nicht alles verschwinden lassen, Beecher.«
»Ach nein? Wie war das noch mit den medizinischen Unterlagen über FDR?«, erwidere ich. Darauf weiß Totte nichts zu erwidern. Neunzehnhundertfünfundvierzig, nur achtundvierzig Stunden nach Franklin Delano Roosevelts Tod, wurden seine sämtlichen medizinischen Unterlagen gestohlen und vernichtet. Jedenfalls hat niemand sie seitdem wieder gesehen.
»Wenn Wallaces Marathon-Röntgenaufnahmen also ein Fehlschlag waren, was hast du denn da?« Totte deutet auf den Aktenordner, den ich immer noch in der Hand halte.
»Das ist nur etwas, das ich bei unseren Unterlagen vom Bürgerkrieg gefunden habe. Ein Brief von Abraham Lincolns Sohn, in dem er über seine Jahre im Weißen Haus schreibt.« Totte weiß, dass ich gerne in der Historie stöbere, wenn ich nervös bin. Aber er weiß auch, dass mich nichts nervöser macht als die komplexeste Historie von allen: Familiengeschichte.
»Deine Mom hat angerufen, als du da unten warst, hab ich recht?«, will Totte wissen.
Ich nicke. Nach ihrer Herzoperation habe ich meine Mutter gebeten, mich jeden Morgen anzurufen, damit ich weiß, dass es ihr gutgeht. Mein Vater starb, als ich drei Jahre alt war. Ich habe nur noch Mom. Aber wie immer war es nicht meine Mutter, die mich anrief. Es war meine Schwester Sharon, die bei ihr lebt und sich um sie kümmert. Ich schicke alle zwei Wochen einen Teil meines Gehalts nach Hause, aber Sharon macht die eigentliche Arbeit.
»Geht es deiner Mutter gut?«, erkundigt sich Totte.
»Wie immer.«
»Dann wird es Zeit, dass du dich auf ein Problem konzentrierst, mit dem du wirklich fertig werden kannst«, erklärt Totte und deutet auf die Tür zu unserem Büro. Er ruft mir damit ins Gedächtnis, dass, ganz gleich, was Präsident Wallace plant, hier die wirkliche Schlacht geschlagen wird. Aber als wir unser Büro betreten und ich die beiden Männer in dunklen Anzügen vor meinem Verschlag stehen sehe, drängt sich mir der Gedanke auf, dass der Präsident uns möglicherweise erheblich weiter voraus ist, als wir gedacht haben.
»Beecher White?«, fragt der größere der beiden Männer. Der Blick seiner dunklen Augen, mit dem er mich mustert, verrät mir, dass er die Antwort kennt. Er hat ein schmales Gesicht; sein Partner dagegen ist ziemlich mondgesichtig, was er mit einem sauber getrimmten Spitzbart zu kaschieren sucht. Keiner der beiden sieht besonders fröhlich aus. Oder freundlich.
»Richtig, ich bin Beecher. Und Sie sind …?«, erwidere ich, aber keiner von beiden antwortet. Als Totte in seinen Verschlag humpelt und dort verschwindet, sehe ich, dass meine beiden Besucher goldene Nadeln an ihren Revers tragen, die einen mir bekannten fünfzackigen Stern zeigen. Secret Service.
Ich werfe Totte einen kurzen Seitenblick über die Trennwand zwischen unseren Verschlägen zu. Er hat den Braten auch gerochen.
»Würden Sie uns vielleicht ein paar Fragen beantworten?« Der Agent mit dem schmalen Gesicht zückt seinen Dienstausweis, der ihn als Edward Harris ausweist. Bevor ich antworten kann, setzt er hinzu: »Fangen Sie immer so früh an zu arbeiten, Mr. White?«
Ich habe zwar keine Ahnung, wo genau sich die Bärenfalle befindet, aber ich kann spüren, wie sich ihre Feder spannt. Als ich Präsident Wallace das letzte Mal sah, habe ich ihm ins Gesicht gesagt, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun würde, um die Beweise zu finden, die belegen, was er und sein toter Freund Palmiotti getan haben. Als Antwort hat sich der mächtigste Mann der Welt über seinen großen Mahagonischreibtisch im Westflügel gelehnt und, in vollkommen sachlichem Ton und als
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