Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fürst des Nebels

Der Fürst des Nebels

Titel: Der Fürst des Nebels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
Vom Netzwerk:
Platzregen voll. Als er bei dem weißen Zaun ankam, war er so durchnäßt, als wäre er gerade aus dem Meer aufgetaucht. Er rannte, um das Fahrrad in dem Schuppen abzustellen, und betrat das Haus durch die Tür zum hinteren Hof. Die Küche war leer, aber ein feiner Duft lag in der Luft. Auf dem Tisch fand Max ein Tablett mit Wurstbroten und einen Krug mit selbstgemachter Limonade. Daneben lag eine Nachricht, in Andrea Carvers stilvoller Schönschrift geschrieben:
    Max, das ist Dein Essen. Dein Vater und ich werden den ganzen Nachmittag im Dorf sein, wegen ein paar Sachen, die das Haus betreffen. Benutz AUF KEINEN FALL das Bad im oberen Stock. Irina kommt mit uns.
    Max ließ die Nachricht liegen und nahm das Tablett mit in sein Zimmer. Der Radmarathon hatte ihn erschöpft und hungrig gemacht. Das Haus schien leer zu sein. Alicia war nicht da, oder sie hatte sich in ihr Zimmer eingesperrt. Max zog sich um, streckte sich auf seinem Bett aus und ließ sich die köstlichen Wurstbrote schmecken, die seine Mutter für ihn gemacht hatte. Draußen trommelte der Regen mit aller Kraft, und die Donnerschläge ließen die Fenster zittern. Max machte die kleine Lampe auf seinem Nachttisch an und nahm das Buch über Kopernikus, das ihm sein Vater geschenkt hatte. Viermal begann er den selben Absatz zu lesen und bemerkte schließlich, daß er mit seinen Gedanken ganz woanders war. Er freute sich darauf, am folgenden Tag mit seinem neuen Freund Roland bei dem versunkenen Schiff tauchen zu gehen. In weniger als zehn Minuten hatte er die Wurstbrote verschlungen. Dann schloß er die Augen und lauschte auf das Prasseln des Regens, der auf das Dach und gegen die Fensterscheiben schlug. Er mochte den Regen und das Geräusch des Wassers, das durch die Regenrinne am Rand des Daches hinunterströmte. Wenn es ganz stark regnete, hatte Max oft das Gefühl, die Zeit bliebe stehen. Es war wie eine Ruhepause, in der man mit allem, was man gerade getan hatte, aufhören konnte, um sich ganz einzustimmen in dieses Naturschauspiel und stundenlang den unendlichen Vorhang aus Himmelstränen von einem Fenster aus zu beobachten. Er legte das Buch auf den Nachttisch zurück und löschte das Licht. Eingehüllt in das hypnotische Geräusch des Regens, schlief er ein.
Kapitel 5
    D ie Stimmen der Familie im unteren Stockwerk und Irina, die ständig die Treppen herauf- und hinunterlief, weckten Max. Es war schon dunkel geworden, aber Max konnte sehen, daß das Unwetter vorübergezogen war und einen Teppich aus funkelnden Sternen am Himmel zurückgelassen hatte. Er warf einen flüchtigen Blick auf seine Uhr und stellte fest, daß er ungefähr sechs Stunden geschlafen hatte. Er war gerade dabei, sich aufzurichten, als jemand gegen seine Tür klopfte.
    »Es ist Zeit für das Abendessen, du Siebenschläfer«, rief Maximilian Carvers beschwingte Stimme auf der anderen Seite.
    Max fragte sich, warum sein Vater so fröhlich war. Da fiel ihm die Kinovorstellung wieder ein, die Maximilian Carver heute morgen während des Frühstücks versprochen hatte.
    »Ich komme gleich runter«, antwortete er. Er hatte noch den kräftigen Geschmack der Wurstbrote im Mund.
    »Um so besser für dich!« erwiderte der Uhrmacher, schon auf dem Weg ins untere Stockwerk. Obwohl er nicht den geringsten Appetit hatte, ging Max in die Küche hinunter und setzte sich an den Tisch zu der restlichen Familie. Alicia schaute versunken auf ihren Teller, ohne das Essen auch nur anzurühren. Irina verschlang genüßlich ihre Portion und flüsterte unverständliche Worte zu ihrer abscheulichen Katze, die sie, zu ihren Füßen sitzend, anstarrte. Sie aßen schweigend zu Abend. Plötzlich erklärte Maximilian Carver, daß er einen vortrefflichen Raum im Dorf gefunden hatte, wo er seine Uhrmacherwerkstatt einrichten und das Geschäft wiederaufnehmen konnte.
    »Und was hast du gemacht, Max?« fragte Andrea Carver.
»Ich war im Dorf.« Die übrigen Familien mitglieder sahen ihn erwartungsvoll an. »Ich habe einen Jungen kennengelernt, Roland. Wir wollen morgen tauchen gehen.«
»Seht ihr. Max hat schon einen Freund gefunden«, rief Maximilian Carver triumphierend. »Habe ich es euch nicht gesagt?«
»Und wie ist dieser Roland, Max?« fragte Andrea Carver.
»Ich weiß nicht. Nett. Er lebt bei seinem Groß vater, dem Leuchtturmwärter. Er hat mir eine Menge Dinge im Dorf gezeigt.«
»Und wo wollt ihr tauchen gehen?« fragte sein Vater.
»Bei dem südlichen Strand, auf der anderen Seite des Hafens. Roland

Weitere Kostenlose Bücher