Der Fürst des Nebels
sagt, daß dort die Überreste eines Schiffes liegen, das vor vielen Jahren gesunken ist.«
»Darf ich aufstehen?« unterbrach ihn Irina. »Nein«, antwortete ihre Mutter streng. »Ist das nicht gefährlich. Max?«
»Mama...«
»Na gut, einverstanden«, sagte Andrea Carver, »aber sei vorsichtig.«
Max nickte.
»Als ich jung war, war ich ein guter Taucher«, fing Maximilian Carver an.
»Bitte halt jetzt keine Vorträge«, schnitt ihm seine Frau das Wort ab. »Wolltest du uns nicht ein paar Filme zeigen?«
Maximilian Carver zuckte mit den Schultern und stand auf, bereit, seinen großen Auftritt als Filmvorführer zu geben.
»Geh deinem Vater zur Hand, Max.«
Bevor er tat, was man von ihm verlangte, sah Max flüchtig seine Schwester Alicia an. Sie war die ganze Zeit über stillgeblieben. Ihrem abwesenden Blick nach zu urteilen, war sie weit entfernt von hier, aber seltsamerweise bemerkte das niemand außer ihm.
Für einen Moment erwiderte Alicia seinen Blick.
Max versuchte, sie anzulächeln.
»Willst du morgen mit uns mitkommen?« bot er ihr an. »Roland wird dir gefallen.«
Alicia lächelte schwach. Sie nickte wortlos, während ein zarter Lichtschimmer in ihren dunklen und unergründlichen Augen aufflammte.
»Alles fertig. Licht aus«, sagte Maximilian Carver, als er die Filmspule in den Projektor eingefädelt hatte. Das Gerät schien aus der Zeit des leibhaftigen Kopernikus zu stammen, und Max hatte seine Zweifel, ob es funktionieren würde.
»Was werden wir sehen?« erkundigte sich Andrea Carver, während sie Irina in ihren Armen wiegte. »Ich habe keine blasse Ahnung«, gestand der Uhrmacher. »In dem Schuppen ist eine Kiste mit zig Filmen ohne irgendeine Beschriftung. Ich habe einfach ein paar davon herausgenommen. Es würde mich nicht wundem, wenn nichts darauf zu sehen wäre. Die Beschichtung von Filmen ist sehr empfindlich, und nach all den Jahren ist es äußerst wahrscheinlich, daß sie sich aufgelöst hat.« »Was bedeutet das?« unterbrach ihn Irina.
»Werden wir gar nichts sehen?«
»Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden«, erwiderte Maximilian Carver und schaltete den Projektor an.
In wenigen Sekunden erwachte das Gerät mit einem scheppernden Brummen, das an ein altes Motorrad erinnerte, zum Leben, und ein flimmernder Lichtstrahl durchquerte den Raum wie eine Lanze aus Licht. Max richtete seinen Blick auf das Rechteck, das auf die weiße Wand projiziert wurde.
Es war, als ob man in das Innere einer Laterna magica blickte, ohne dabei genau zu wissen, welche Traumbilder aus einer solchen Erfindung herauskommen können. Er hielt den Atem an, und wenige Augenblicke später wurde die Wand mit Bildern überflutet.
Es genügten ein paar Sekunden, und Max begriff, daß dieser Film nicht aus dem Lager irgendeines alten Kinos stammte. Es handelte sich nicht um eine Kopie eines berühmten Kinofilmes und auch nicht um eine verlorene Filmrolle irgendeiner Stummfilmserie. Die verschwommenen Bilder, die mit der Zeit zerkratzt worden waren, verrieten, daß der, der sie aufgenommen hatte, ein Amateur gewesen sein mußte. Wahrscheinlich war der Film vor vielen Jahren von dem alten Hausherrn, Doktor Fleischmann, selbst gedreht worden. Und mit den übrigen Filmspulen, die Max' Vater in dem Schuppen bei dem alten Projektor gefunden hatte, verhielt es sich vermutlich nicht anders. Die Träume von Maximilian Carvers privatem Filmclub stürzten in weniger als einer Minute in sich zusammen. Der Film zeigte auf unbeholfene Art einen Spaziergang durch etwas, das wie ein Wald aussah.
Der Filmstreifen war gedreht worden, während der Kameramann langsam zwischen den Bäumen hindurch lief, und das Bild bewegte sich stolpernd vorwärts, mit jähem Wechsel von Licht und Einstellung, so daß man den Ort kaum erkennen konnte, an dem sich dieser sonderbare Spaziergang abspielte.
»Aber was ist das?« rief Irina sichtlich enttäuscht und sah ihren Vater an, der diesen seltsamen und schon nach der ersten Minute der Vorführung unerträglich langweiligen Film mit Bestürzung betrachtete.
»Ich weiß nicht«, murmelte Maximilian Carver in Gedanken versunken. »Das habe ich nicht erwartet...«
Auch Max hatte schon das Interesse an dem Film verloren, doch plötzlich weckte etwas in der chaotischen Sturzflut aus Bildern seine Aufmerksamkeit.
»Und wenn du es mit einer anderen Filmrolle probierst, Liebling?« schlug Andrea Carver vor und versuchte damit, die Träume ihres Mannes von dem vermeintlichen Filmarchiv in dem Schuppen vor dem
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