Der Fundamentalist, der keiner sein wollte
ich mit einem Mann durch die Straßen der Stadt, der sich mehr als alles andere wünschte, dass der Verkauf an unseren Klienten nicht über die Bühne ging.
Juan-Bautista trug Hut und Stock, und er bummelte so gemächlich dahin, dass es in New York vermutlich illegal gewesen wäre, eine Straßenkreuzung in dem Tempo zu überqueren. Als wir saßen und bestellt hatten, sagte er: »Ich habe Sie beobachtet, und es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, junger Mann, dass Sie durcheinander sind. Darf ich Ihnen eine ziemlich persönliche Frage stellen?« »Natürlich«, sagte ich. »Bekümmert es Sie«, fragte er, »dass Sie Ihren Lebensunterhalt damit verdienen, das Leben anderer zu zerrütten?« »Wir bewerten nur«, antwortete ich, »wir entscheiden nicht, ob gekauft oder verkauft werden soll oder was mit einer Firma geschieht, nachdem wir sie bewertet haben.« Er nickte; er zündete sich eine Zigarette an und trank einen Schluck Wein aus seinem Glas. Dann fragte er: »Haben Sie schon einmal von den Janitscharen gehört?« Ich verneinte. »Das waren christliche Jungs«, erklärte er, »die von den Ottomanen gefangen genommen und zu Soldaten in der muslimischen Armee ausgebildet wurden, zu jener Zeit die größte der Welt. Sie waren wild und absolut loyal: Sie hatten gekämpft und dabei ihre eigene Zivilisation ausgelöscht, daher war ihnen nichts mehr geblieben.«
Er schnippte die Asche seiner Zigarette auf einen Teller. »Wie alt waren Sie, als Sie nach Amerika gingen?«, fragte er. »Ich ging ans College«, sagte ich, »da war ich achtzehn.« »Viel älter also«, sagte er. »Die Janitscharen haben sie immer als Kinder geholt. Es wäre ihnen nämlich viel schwerer gefallen, sich für ihr angenommenes Reich einzusetzen, wenn sie lebhafte Erinnerungen an ihre Vergangenheit gehabt hätten.« Er lächelte und spekulierte nicht weiter darüber. Bald darauf kam unser Essen, und der Zackenbarsch war ganz sicher so köstlich, wie er behauptet hatte, doch leider kann ich mich nicht mehr an den Geschmack erinnern.
Aber ich sehe Ihnen an, Sir, dass Ihnen die Geschichte seltsam vorkommt. Ob dieses Gespräch tatsächlich stattgefunden hat, fragen Sie? Und ob es diesen so genannten Juan-Bautista überhaupt gegeben hat? Ich versichere Ihnen, Sir: Sie können mir vertrauen. Es ist nicht meine Art, etwas zu erfinden! Und warum sollte gerade diese Begebenheit weniger wahr sein als die anderen, die ich Ihnen erzählt habe? Kommen Sie, ich glaube, wir haben schon zu viel zusammen erlebt, um zu einem so späten Zeitpunkt noch derartige Fragen aufzuwerfen.
Wie auch immer, Juan-Bautistas Worte lösten bei mir eine heftige Attacke der Selbstkritik aus. Die ganze folgende Nacht überlegte ich, was aus mir geworden war. Eigentlich konnte kein Zweifel bestehen: Ich war ein moderner Janitschar, ein Diener des amerikanischen Reichs zu einer Zeit, da es ein Land überfiel, das mit dem meinen verwandt war, und vielleicht sogar heimlich daran mitwirkte, dass mein eigenes Land mit Krieg bedroht wurde. Natürlich rang ich mit mir! Natürlich fühlte ich mich zerrissen! Ich hatte mich mit den Leuten von Underwood Samson zusammengetan, mit den Offizieren des Reichs, wo ich doch eigentlich prädestiniert war, Mitleid mit Leuten wie Juan-Bautista zu empfinden, deren Leben durch das Reich mir nichts, dir nichts zugrunde gerichtet wurde.
Am nächsten Morgen sagte ich dem Vizepräsidenten mit der Haltung eines Mannes, der einem Erschießungskommando gegenübersteht – nein, das ist vielleicht doch zu dramatisch, und ein gefährlicher Vergleich ausgerechnet an diesem Abend, aber Sie verstehen, was ich meine –, dass ich mich weigerte weiterzuarbeiten. Er war verdutzt. »Wie meinen Sie das, Sie weigern sich?«, sagte er. »Ich bin hier fertig«, antwortete ich, »ich habe vor, nach New York zurückzukehren.« Panik brach aus; eiligst wurde eine Konferenzschaltung mit Jim hergestellt. »Nun hören Sie mal, mein Junge«, sagte ein ungewöhnlich angespannter Jim aus der Sprechanlage, »ich weiß, Sie haben einiges um die Ohren. Aber wenn Sie da jetzt abhauen, untergraben Sie unsere Firma. Sie schaden dem Team. Im Krieg kämpfen die Soldaten weniger für ihre Fahne, Changez. Sie kämpfen für ihre Freunde, ihre Kumpel. Ihr Team. Tja, und jetzt bittet Ihr Team Sie zu bleiben. Wenn Sie hinterher eine Pause brauchen, kein Problem.«
Ich muss zugeben, Jims Worte gaben mir zu denken. Ich bewunderte ihn sehr; er hatte immer hinter mir gestanden, und nun war ich
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