Der Marktmacher
EINS
D er Mann, der mir gegenübersaß, den Rauch seiner Zigarette inhalierte und mich kühl musterte, hatte die Kontrolle über die finanzielle Zukunft eines ganzen Kontinents. Was noch wichtiger war, er würde sie auch über die meine h a ben.
»Besten Dank, daß Sie für uns Zeit gefunden haben, Nick«, sagte er. »Jamie hat uns viel von Ihnen erzählt. Ausnahmslos Gutes.« Seine Stimme war tief, seine Aussprache sorgfältig, sein Akzent, der auf eine Erziehung in vorne h men Internatsschulen schließen ließ, hatte eine leicht l a teinamerikanische Färbung.
»Er hat mir auch viel von Ihnen erzählt.«
Tatsächlich hatte mich Jamie in der letzten Woche gründlich über Ricardo Ross informiert. Sein Vater war Anglo -A rgentinier, seine Mutter Venezolanerin, und er hatte eine Privatschule in England besucht. Seit zehn Jahren war er bei Dekker Ward und hatte die Firma in dieser Zeit von einer drittklassigen Londoner Brokerfirma zum wichtigsten Akteur auf den lateinamerikanischen Re n tenmärkten gemacht. Um seine Elitetruppe, die Emerging Markets Group, wurde Ricardo von Tradern und Verkä u fern in London und New York beneidet. Jamie glaubte, Ricardo werde bald zu einem der wichtigsten Akteure der internationalen Finanzwelt avancieren.
Und da saß er nun und führte ein Einstellungsgespräch mit mir.
Gut sah er aus. Gestreiftes Hemd mit Monogramm, geschmackvolle, goldene Manschettenknöpfe, das dichte, dunkle Haar durch einen perfekten Kurzhaarschnitt gezähmt. Ein ganz klein wenig wurde dieses makellose E r scheinungsbild dadurch aufgelockert, daß sein Schlips e i nen halben Zentimeter unter den geöffneten obersten Hemdknopf gerutscht war und die Ärmel gerade so weit umgeschlagen waren, um den Blick auf eine teure Schweizer Uhr freizugeben.
»Möchten Sie eine Tasse Kaffee?« fragte er.
»Danke.«
Wir saßen in einem kleinen, sehr gediegen eingerichteten Konferenzzimmer, das im Grunde nur eine durch Glaswände abgetrennte Ecke des Börsensaals war. Ricardo drückte einen Knopf des Telefons auf dem kleinen runden Tisch zwischen uns. »Alberto? Zwei Tassen Ka f fee, bitte.«
Es dauerte keine Minute, dann kam ein winziges altes Männchen, tadellos in einen schwarzen Anzug gekleidet, mit zwei kleinen Tassen Kaffee herein.
»Was mir in London am meisten fehlt, ist der Kaffee«, sagte Ricardo. »Er ist schon besser geworden, läßt aber immer noch sehr zu wünschen übrig. Das hier ist kolumbianischer. Mein Wort darauf, daß Sie in London keinen besseren kriegen werden.« Er lehnte sich zurück und schlug die elegant behosten Beine übereinander. Die A n deutung eines Lächelns huschte über sein schmales, anzi e hendes Gesicht. Mir fiel auf, daß die Finger seiner linken Hand von Zeit zu Zeit eine schnelle Drehbewegung ausführten: Er spielte mit seinem Ehering.
Der Kaffee war vom Feinsten, aromatisch; Welten trennten ihn von dem Pulverkaffee, an den ich gewöhnt war.
Ricardo nippte an seinem Kaffee, hielt einen Moment inne, um ihn auf der Zunge zergehen zu lassen, und stellte die Tasse dann sorgfältig auf die Untertasse zurück. »Wie viele von unseren Leuten haben Sie schon kenneng e lernt?« fragte er.
»Sie sind der siebte.«
Ricardo lächelte. »Ein langer Morgen. Dann wissen Sie also inzwischen alles über Dekker Ward?«
»Mir klingen noch die Ohren. Aber, was erzähle ich Ihnen, es ist Ihre Firma.«
»Nun, ich leite hier nur die Emerging Markets Group«, sagte er und nickte in Richtung des Handelssaals hinter sich . » Der Rest der Firma hat, wie schon seit hundertfünfzig Jahren, seinen Sitz in der City. Ich kann sie getrost dem Vorsitzenden Lord Kerton überlassen. Wir ziehen es vor, Abstand voneinander zu halten.«
Offensichtlich. Wir saßen rund vierzig Stockwerke über Canary Wharf, fünf Kilometer östlich der City of London.
»Aber Ihre Gruppe macht neunzig Prozent der Gewinne von Dekker Ward?«
»Fünfundneunzig«, lächelte Ricardo.
»Wie schaffen Sie das?«
»Wir sind die Besten«, erwiderte er. »Mit Abstand. Wir beherrschen die lateinamerikanischen Rentenmärkte. Wir plazieren mehr Anleihen lateinamerikanischer Emittenten als unsere drei schärfsten Konkurrenten zusammen. Aggressiver als wir betreibt niemand das Geschäft. Wir ke n nen jeden. Wer Geld anlegen will, muß mit uns reden. Wir machen diesen Markt. Es ist unser Markt. Die Margen sind nicht zu verachten.«
»Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Aber wie sind Sie zu dieser Position gekommen?«
»Wir sind dem Markt
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