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Der futurologische Kongreß

Der futurologische Kongreß

Titel: Der futurologische Kongreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Manager solifikatorischer Projekte, ein bevollmächtigter BUSEN-Direktor (d. h. ein Direktor der »Bundesstelle für elektronische Neulandgewinnung«), sollte den Mars urbar machen, betätigte sich aber statt dessen als Mädchenhändler. Er ist unter dem Spitznamen »Commeputainer« bekannt geworden, er war nämlich eine in Lizenz hergestellte französische Type. Das alles sind wohl übersteigerte Auswüchse der Entwicklung, ähnlich wie im vorigen Jahrhundert der Smog und die Verkehrsstauungen. Von Vorbedacht oder bösem Willen der Computer kann im übrigen keine Rede sein. Sie tun immer das, was ihnen am leichtesten fällt, genauso wie Wasser immer bergab fließt, und nicht bergauf. Aber während Wasser mit Leichtigkeit einzudämmen ist, lassen sich den Computern sehr schwer die möglichen Abwege sperren. Der Autor der »Geschichte der Intelektrik« betont, daß im großen und ganzen alles bestens ablaufe: jedes Kind lerne lesen und schreiben mit Hilfe von Orthographinsäftchen; alle Produkte, sogar die Kunstwerke, seien allgemein erhältlich und erschwinglich; in den Gaststätten umlagere die Esser eine Schar beflissener Kelputer, zwecks rationellerer Dienstleistung streng spezialisiert, manche auf Gebratenes, manche – die sogenannten Kompotter – auf Säfte und Obst und Gelee, andere auf anderes. Schön, er mag recht haben; in der Tat herrscht allerorten unsäglicher Komfort. P. S. (nach dem Nachtmahl bei Symingtons): Der Abend war nett, mir wurde jedoch ein läppischer Streich gespielt. Einer der Gäste – wenn ich nur wüßte, wer! – streute in meinen Tee eine Prise geläutertes Glaubsalz, und prompt geriet ich angesichts einer Serviette in solche Verzückung, daß ich aus dem Stegreif eine neue Theodizee verkündete. Schon einige wenige Stäubchen des verdammten Mittels nötigen zum Glauben an alles, was just zur Hand ist – ab Löffel, Lampe oder Tischbein. Die Macht meines mystischen Erlebens war so groß, daß ich in die Knie sank, um dem Eßgeschirr meine Andacht zu erweisen. Erst der Gastgeber half mir aus der Patsche. Zwanzig Tropfen Kaltlasser wirkten im Nu. Dieses Mittel flößt eisigen Skeptizismus ein, vollkommene Gleichgültigkeit gegen alles und jedes, so daß einen armen Sünder die eigene Hinrichtung kaltließe. Symington bat mich inständig, den Zwischenfall zu verzeihen. Ich vermute, daß Taulinge sehr wohl von der Allgemeinheit insgeheim abgelehnt werden; während einer normalen Party hätte sich gewiß niemand solche Spaße erlaubt. Symington geleitete mich in sein Studio; dort sollte ich verschnaufen. Und wieder passierte mir etwas Dummes: ich schaltete das kassettenförmige Gerät ein, das auf dem Schreibtisch stand; dem vermeintlichen Radio entstoben Schwärme glitzernder Flöhe, bekrabbelten mich von Kopf bis Fuß und kitzelten mich am ganzen Leibe. Kreischend und mich kratzend, flüchtete ich in den Korridor. Der Kasten war ein simpler Jucker, und das, was ich irrtümlich ausgelöst hatte, das war das »Scherzo pruriginoso« von Kizzikizzi. Diese neue, mit Tastreizen arbeitende Kunst vermag ich wahrlich nicht zu würdigen. Bill, Herrn Symingtons ältester Sohn, hat mir gesagt, daß es auch obszöne Werke gibt. Geile asemantische Kunst, der Musik verwandt … Wie unerschöpflich ist der menschliche Erfindungsgeist! Der junge Symington hat versprochen, mich in einen geheimen Klub mitzunehmen. Womöglich zu einer Orgie? Schlucken werde ich dort jedenfalls nichts! 8.9.2039. Ich hatte einen luxuriösen Zufluchtsort erwartet, eine Stätte äußerster Ausschweifung, doch wir stiegen in einen muffigen verdreckten Keller hinab. Die Gestaltung eines so getreuen Abbildes alter Zeiten soll Unsummen verschlungen haben. Im Mief des niedrigen Gewölbes standen viele Leute geduldig Schlange vor einem vierfach verriegelten Schalterfenster. »Sehen Sie? Eine echte Warteschlange!« – betonte Symington junior stolz. »Na schön« – sagte ich nach etwa einer Stunde geduldigen Anstehens. »Aber wann öffnen die endlich?«
    »Öffnen? Was?« – er wunderte sich. »Nun, den Schalter da …«
    »Nie!« – erscholl es triumphierend im Chor. Mir blieb die Spucke weg. Nur schwer sah ich ein, daß ich einer Attraktion beiwohnte, die zu den gängigen Lebensnormen in ebensolchem Gegensatz stand wie einstmals die schwarze Messe zur weißen. Eigentlich logisch: nur als Selbstzweck ist Schlangestehen heute noch möglich – als eine Form abseitigen Lustgewinns. In einem zweiten Klubraum ruht auf

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