Der futurologische Kongreß
ein beliebiges Thema (das durch ein gesondertes Fertigpräparat festgelegt wird). Dies ändert nichts an der Tatsache, daß ich mich angesichts der uferlosen Horizonte der Psychemie einigermaßen kopfscheu fühle; ich möchte vorerst nicht alles einnehmen, was mir unterkommt. Bei meinem heutigen Entdeckungsbummel durch die Stadt geriet ich zufällig auf einen Friedhof. Er heißt Umkunft. Totengräber gibt es nicht mehr; ihre Arbeit tun Gruboter. Ich sah ein Begräbnis mit an. Der Verstorbene gelangte in eine sogenannte Abrufgruft, da er unter Umständen wieder auferstehen wird. Es war sein letzter Wille, bis zuletzt liegenzubleiben, das heißt, so lange wie nur irgend möglich. Aber die Ehefrau und die Schwiegermutter haben auf Umstoßung des Testaments geklagt. Wie ich höre, ist das kein Einzelfall. Die Sache wird sich den Instanzenweg entlangschleppen, da sie juristische Schwierigkeiten enthält. Wer sich unwiderruflich umbringen will, der muß wohl eine Bombe verwenden? Ich habe nie an die Möglichkeit gedacht, daß jemand nicht den Wunsch nach Auferstehung hege. Offenbar gibt es das, aber nur dann, wenn er leicht erfüllbar wäre. Der Friedhof ist schön, ganz in grünes Dickicht getaucht – nur daß die Särge so sonderbar klein sind. Werden die Leichen gepreßt? Dieser Zivilisation ist alles zuzutrauen. 6.9.2039. Sie werden nicht gepreßt. Die Bestattung umfaßt jedoch ausschließlich die sterblichen Überreste; die Prothesen werden verschrottet. Die Menschen bestehen also jetzt weitgehend aus Ersatzteilen! Das Dingen brachte eine mitreißende Diskussion über das neue Projekt, die Menschheit unsterblich zu machen: man verpflanze die Gehirne überaus hochbetagter Greise in die Körper junger Leute; diesen erwüchse daraus kein Nachteil, denn ihre freigewordenen Gehirne bezögen ihrerseits die Körper von Halbwüchsigen – und so weiter. Da immer wieder Menschen geboren werden, käme niemand zu kurz, das heißt, niemand würde ersatzlos enthirnt. Es gibt jedoch zahlreiche Einwände. Die Gegenpartei bezeichnet die Anhänger des neuen Projektes als Hirnzermarterer. Gestern wollte ich just den Friedhof verlassen, und zwar zu Fuß, um noch ein wenig frische Luft zu schöpfen – da stolperte ich über einen Draht, der von Grabstein zu Grabstein gespannt war. Ich plumpste der Länge nach hin. Was für unangebrachte Späße! Der Vorgruboter sprudelte Entschuldigungen hervor: da habe wohl ein Robauke Unfug getrieben. Zu Hause guckte ich also schleunigst in den Webster. »Robauke, halbstarker Roboter, moralisch defekt aufgrund von Fertigungsfehlern oder infolge schlechter Behandlung«. Vor dem Einschlafen las ich »Das Kameliendummy«. Ich bin ratlos: soll ich gleich das ganze Wörterbuch leerfressen, oder was sonst? Ich kann dem Text kaum folgen. Das Wörterbuch genügt im übrigen nicht. Dies wird mir allmählich klar. Nehmen wir diesen Roman: der Held hat ein Verhältnis mit einer Aufblase (es gibt deren zweierlei: Kassettinen und Pervertinen). Ich weiß bereits, was eine Aufblase ist, aber ich weiß nicht, wie eine solche Liebschaft bewertet wird. Gilt sie als anrüchig? Und wenn einer seine Aufblase malträtiert? Ist das so, als zerschlitzte er einen Fußball? Oder ist es ethisch verwerflich? 7. 9. 2039. Es geht doch nichts über wahre Demokratie! Heute wurde über das Volks-Begehren abgestimmt. Zunächst zeigte das Dingen verschiedene Prototypen weiblicher Schönheit, dann erfolgte die allgemeine Stimmabgabe. Der Hochkommissar für Euplanie versprach zum Abschluß, bereits im nächsten Quartal die erwählten Modelle in Umlauf zu bringen. Vorbei sind die Zeiten der Einlagen, Mieder, Schminkstifte, Färbemittel und Make-ups. Die Kalotechnischen Salons (auch Hübschlereien genannt) verändern tiefgreifend die Körpergröße, den Wuchs und die Formen. Ich möchte wissen, ob Aileen … Mir gefällt sie so, wie sie ist, aber Frauen sind der Mode hörig. Heute wollte ein Anderling meine Wohnung aufbrechen, als ich eben in der Wanne saß. Ein Anderling ist anderer Leute Roboter. Dieser war im übrigen ein Drucks, wegen eines Fabrikationsfehlers beanstandet, aber von der Erzeugerfirma nicht zurückgenommen, ein Kerl, der nichts roboten will. Solche Exemplare drücken sich vor der Arbeit, oftmals entwickeln sie sich zu Robauken. Mein Badegerät schaltete blitzschnell und wehrte den Fremden ab. Übrigens habe ich keinen Roboter; der Meinung ist lediglich ein Badwandler (Badewannen-Wandler). ›Meinling‹ habe ich
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