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Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Titel: Der Gang vor die Hunde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
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keuchend, hatte ein Holzbein und ging an einem Stock.
    »Ist die Kulp da?« fragte er. Die Reiter nickte. Er zog ein paar Geldscheine aus der Tasche, gab sie der Bildhauerin und sagte: »Ihr andern solltet eine Stunde fortgehen. Die Selow kannst du mir eventuell noch dalassen.« Er sank auf einen Stuhl und lachte schwerfällig. »Nein, nein, Baron, es war nur Spaß.«
    Die Kulp kroch von der Chaiselongue, strich sich das Kleid glatt und gab dem Mann die Hand. »Tag, Wilhelmy, noch immer nicht tot?«
    Wilhelmy wischte sich den Schweiß von der Stirn und schüttelte den Kopf.
    »Lange kann’s aber nicht mehr dauern. Sonst ist das Geld früher zu Ende als ich.« Er gab auch ihr ein paar Geldscheine. »Selow!« rief er, »sauf den Gin nicht aus! Und zieh dich schneller an.«
    »Geht in die ›Cousine‹. Ich komme nach«, sagte die Kulp. Dann rüttelte sie Labude munter. »Mein Lieber, du wirst jetzt rausgeschmissen. Hier ist einer, dem die Ärzte erzählt haben, daß er noch in diesem Monat stirbt. Er lauert auf den Tod wie unsereins auf die Periode. Ich helf ihm bloß ein Viertelstündchen warten. Später treff ich euch wieder.«
    Labude stand auf. Die Reiter holte ihren Mantel. Fabian kam mit Fräulein Battenberg hinter den Plastiken vor. Die Selow war mit Anziehen fertig. Sie gingen. Der Todeskandidat und die Kulp blieben zurück.
    »Hoffentlich prügelt er sie nicht so sehr wie beim letzten Mal«, sagte die Bildhauerin auf der Treppe. »Es bringt ihn auf, daß Andere länger leben dürfen als er.«
    »Die hat nichts dagegen, die liebt die Keile«, meinte die Selow. »Und außerdem, von ihrer Zeichnerei kann sie nicht leben und nicht sterben.«
    »Feine Berufe haben wir!« Die Reiter lachte wütend.
     
    Die ›Cousine‹ war ein Klublokal, in dem vorwiegend Frauen verkehrten. Sie tanzten miteinander. Sie saßen Arm in Arm auf kleinen grünen Sofas. Sie sahen einander tief in die Augen. Sie tranken Schnaps, und manche trugen Smokingjacken und hochgeschlossene Blusen, um den Männern recht ähnlich zu sein. Die Inhaberin hieß wie ihr Lokal, rauchte schwarze Zigarren und vermittelte Bekanntschaften. Sie ging von Tisch zu Tisch, begrüßte die Gäste, erzählte handfeste Witze und soff wie ein Budiker.
    Labude schien sich vor Fabian und vor sich selber zu schämen. Er tanzte mit dem Abendakt, setzte sich dann mit der Frau an die Theke und drehte dem Freund den Rücken. Ruth Reiter war eifersüchtig, nahm sich aber zusammen. Sie blickte ganz selten nach der Bar, sah blaß aus und begann zu trinken. Später schob sie an einen anderen Tisch und unterhielt sich dort mit einer älteren Dame, die schrecklich geschminkt war und, wenn sie lachte, derartig gackerte, daß jeder, der es hörte, dachte: Gleich legt sie ein Ei.
    »Ich kann unser Gespräch noch nicht vergessen«, sagte Fabian zu Fräulein Battenberg. »Halten Sie wirklich alle Frauen, die hier versammelt sind, für gebürtige Abnormitäten? Die Blondine da drüben war jahrelang die Freundin eines Schauspielers, bis er sie ruckartig an die Luft setzte. Dann ging sie ins Büro und schlief mit dem Prokuristen. Sie kriegte ein Kind und verlor den Posten. Der Prokurist leugnete die Vaterschaft. Das Kind wurde aufs Land gegeben. Die Blondine bekam eine neue Stellung. Aber sie hat, vielleicht für immer, mindestens vorübergehend, von den Männern genug, und Mancher, die außer ihr hier sitzt, erging es ähnlich. Die Eine findet keinen Mann, die Andere findet zu viele, die Dritte hat panische Angst vor den Folgen. Hier sitzen viele Frauen, die mit den Männern nur böse sind. Die Selow, die mit meinem Freunde zusammenhockt, gehört auch zu dieser Sorte. Sie ist nur lesbisch, weil sie mit dem andern Geschlecht schmollt.«
    »Wollen Sie mich nach Haus bringen?« fragte Fräulein Battenberg.
    »Es gefällt Ihnen hier nicht?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    Da ging die Tür auf, die Kulp taumelte ins Lokal. Vor dem Tisch, an dem die Bildhauerin saß, blieb sie stehen und öffnete den Mund. Sie schrie nicht, sie sprach nichts. Sie brach zusammen. Die Frauen drängten sich neugierig um die Ohnmächtige. Die Cousine brachte Whisky. »Der Wilhelmy hat sie wieder geschlagen«, sagte die Reiter.
    »Ein Hoch auf die Männer!« schrie ein Mädchen und lachte hysterisch.
    »Holt den Doktor aus dem Hinterzimmer!« rief die Cousine. Man rannte durcheinander. Der Klavierspieler, der ebenso witzig wie betrunken war, intonierte den Trauermarsch von Chopin.
    »Das soll der Doktor sein?«

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