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Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Titel: Der Gang vor die Hunde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
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streichelte die braune Sofalehne, als handle sich’s um einen Pferderücken. »Muß ich jetzt verschwinden?«
    »Ich will Ihnen einen Vorschlag machen«, meinte Fabian. »Während ich bade, bringt die Wirtin das Frühstück ins Zimmer, und da darf sie Ihnen nicht begegnen, sonst gibt’s Krach. Wenn sie wieder draußen ist, sind Sie mir wieder willkommen. Dann können Sie ruhig noch ein paar Stunden hierbleiben. Ich werde Sie allerdings allein lassen, weil ich mich um Arbeit kümmern muß.«
    »Das macht nichts«, erklärte der Alte. »Ich werde in den Büchern blättern, wenn Sie erlauben. Wohin gehe ich aber, während Sie baden?«
    »Ich dachte, in den Schrank«, sagte Fabian. »Der Schrank als Wohnstätte, das war bis heute ein Privileg der Ehebruchslustspiele. Brechen wir mit der Tradition, verehrter Gastfreund! Ist Ihnen mein Vorschlag angenehm?«
    Der Erfinder öffnete den Schrank, blickte skeptisch hinein und fragte: »Pflegen Sie sehr lange zu baden?«
    Fabian beruhigte ihn, schob den Wintermantel und den zweiten Anzug, den er besaß, beiseite und hieß den Gast einsteigen. Der alte Herr nahm seine Pelerine um, setzte den Hut auf, klemmte den Schirm unter den Arm und kroch in den Schrank, der in allen Fugen krachte. »Und wenn sie mich hier findet?«
    »Dann ziehe ich am Ersten aus.«
    Der Erfinder stützte sich auf den Schirm, nickte und sagte: »Nun scheren Sie sich in die Wanne!«
    Fabian schloß den Schrank zu, nahm vorsichtshalber den Schlüssel an sich und rief im Korridor: »Frau Hohlfeld, das Frühstück!« Als er das Badezimmer betrat, saß schon Cornelia, über und über eingeseift, in der Wanne und lachte. »Du mußt mir den Rücken abreiben«, flüsterte sie. »Ich habe so entsetzlich kurze Ärmchen.«
    »Die Reinlichkeit wird zum Vergnügen«, bemerkte Fabian und seifte ihr den Rücken. Später vergalt sie ihm Gleiches mit Gleichem. Zum Schluß saßen sich beide im Wasser gegenüber und spielten hohen Seegang. »Schrecklich«, sagte er, »in meinem Schrank steht inzwischen der König der Erfinder und wartet auf seine Befreiung. Ich muß mich beeilen.« Sie kletterten aus der Wanne und frottierten einander, bis die Haut brannte. Dann trennten sie sich.
    »Auf Wiedersehen am Abend«, flüsterte sie.
    Er küßte sie. Er verabschiedete sich von ihren Augen, von ihrem Mund und Hals, von jedem Körperteil einzeln. Dann lief er in sein Zimmer. Das Frühstück war eingetroffen. Er sperrte den Schrank auf. Der alte Herr stieg mit steifen Beinen heraus und hustete lange, um das Versäumte nachzuholen.
    »Nun der zweite Teil der Komödie«, sagte Fabian, ging in den Korridor, öffnete die Flurtür, schlug sie wieder zu und rief: »Großartig, Onkel, daß du mich mal besuchst. Tritt bitte näher!« Er komplimentierte die imaginäre Person ins Zimmer und nickte dem verwunderten Erfinder zu. »So, nun sind Sie offiziell eingetroffen. Nehmen Sie Platz. Hier ist eine zweite Tasse.«
    »Und Ihr Onkel bin ich außerdem.«
    »Verwandtschaftliche Beziehungen wirken auf Wirtinnen immer schmerzstillend«, erläuterte Fabian.
    »Aber der Kaffee ist gut. Darf ich mir ein Brötchen nehmen?« Der alte Herr begann den Schrank zu vergessen. »Wenn ich nicht unter Kuratel stünde, machte ich Sie zu meinem Universalerben, geehrter Herr Neffe«, sagte er und aß mit großer Andacht.
    »Ihr hypothetischer Antrag ehrt mich«, entgegnete Fabian. Sie stießen auf Drängen des neuen Onkels mit den Kaffeetassen an und riefen: »Prost!«
    »Ich liebe das Leben«, gestand der Alte und wurde fast verlegen. »Ich liebe das Leben erst recht, seit ich arm bin. Manchmal könnte ich vor Freude in den Sonnenschein hineinbeißen oder in die Luft, die in den Parks weht. Wissen Sie, woran das liegt? Ich denke oft an den Tod, und wer tut das heute? Niemand denkt an den Tod. Jeder läßt sich von ihm überraschen wie von einem Eisenbahnzusammenstoß oder einer anderen unvorhergesehenen Katastrophe. So dumm sind die Menschen geworden. Ich denke täglich an ihn, denn täglich kann er winken. Und weil ich an ihn denke, liebe ich das Leben. Es ist eine herrliche Erfindung, in Erfindungen bin ich sachverständig.«
    »Und die Menschen?«
    »Der Globus hat die Krätze«, knurrte der Alte.
    »Das Leben lieben und zugleich die Menschen verachten, das geht selten gut aus«, sagte Fabian und stand auf. Er verließ den Gast, der noch immer Kaffee trank, bat Frau Hohlfeld, den Onkel nicht zu stören, und ging zum Arbeitsamt seines Bezirks.
     
    Nachdem er

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