Der Gang vor die Hunde (German Edition)
Mann, ich bin jetzt wieder ein armer Teufel, es spielt keine Rolle. Wie’s kommt, wird’s gefressen. Ob mich die Sonne auf meiner Terrasse in Leoni bescheint oder hier auf dem Kreuzberg, das ist mir so egal wie der Sonne.« Der alte Herr hustete und streckte die Beine weit von sich. Fabian stand auf und sagte, er müsse weiter.
»Was sind Sie eigentlich von Beruf?« fragte der Erfinder.
»Arbeitslos«, erwiderte Fabian und schritt einer Allee zu, die in die Straßen Berlins zurückführte.
Als er am Abend, taumelig von dem vielstündigen Marsch, die Wohnung betrat, wollte er sofort zu Cornelia und ihr sein Malheur berichten. Schon die bloße Vorstellung von der kommenden Szene rührte ihn tief. Vielleicht hatte er auch nur Hunger.
Frau Hohlfeld, die Wirtin, vereitelte sein Vorhaben. Sie stand im Korridor und flüsterte, unnötig geheimnisvoll, aber das war ihre Art, Labude sei da. Labude saß in Fabians Zimmer und hatte offensichtlich Kopfschmerzen. Er sei gekommen, sich zu entschuldigen, weil er gestern nacht ohne Gruß den Tisch und das Lokal verlassen habe. Faktisch wollte er etwas ganz anderes. Er wollte wissen, wie Fabian über die Sache mit der Selow dachte.
Labude war ein moralischer Mensch, und es war immer schon sein Ehrgeiz gewesen, seinen Lebenslauf ohne Konzept und ohne Fehler gleich ins Reine zu schreiben. Er hatte als Kind niemals die Löschblätter bekritzelt. Sein Sinn für Moral war eine Konsequenz der Ordnungsliebe. Die Hamburger Enttäuschung hatte sein privates Ordnungssystem und in der Folge seine Moral lädiert. Der seelische Stundenplan war gefährdet. Dem Charakter fehlte das Geländer. Nun kam er, der die Ziele liebte und brauchte, zu Fabian, dem Fachmann der Planlosigkeit. Er hoffte, von ihm zu lernen, wie man Unruhe erfahren und trotzdem ruhig bleiben kann.
»Du siehst schlecht aus«, sagte Fabian.
»Ich habe die Nacht kein Auge zugemacht«, gestand der Freund. »Diese Selow ist schwermütig und ordinär, beides in einem Atem. Sie kann stundenlang auf dem Diwan sitzen und Schweinereien vor sich hinmurmeln, als bete sie eine Litanei. Es ist nicht zum Anhören. Alkohol trinkt sie in solchen Mengen, daß man vom bloßen Zuschauen besoffen wird. Dann fällt ihr wieder ein, daß sie mit einem Mann allein in der Wohnung ist, und man möchte sich gegen Hagelschlag versichern. Dabei empfindet sie bestimmt nicht wie eine normale Frau. Für lesbisch halte ich sie aber auch nicht. Ich glaube, obwohl das komisch klingt, sie ist homosexuell.«
Fabian ließ den Freund reden. Und weil er sich über nichts wunderte, wurde der Andere ruhig. »Morgen fahre ich auf zwei Tage nach Frankfurt«, erzählte Labude noch, bevor er sich verabschiedete. »Rassow kommt auch hin, wir wollen dort eine Initiativgruppe einrichten. Inzwischen mag das Mädchen in der Wohnung Nummer Zwei bleiben. Ihr ist es in den letzten Monaten verdammt dreckig gegangen. Sie soll sich mal ausschlafen. Auf Wiedersehen, Jakob.« Dann ging er.
Fabian betrat Cornelias Zimmer. Was würde sie zu der Kündigung sagen? Aber Ruth Reiter, die Bildhauerin, saß da, sah elend aus, war gar nicht erstaunt, ihm hier zu begegnen, und resümierte, was sie der Battenberg ausführlich schon berichtet hatte: Die kleine Kulp war in die Charité gebracht worden. Sie hatte innere Verletzungen davongetragen, und Wilhelmy, der Todeskandidat mit dem Holzbein, lag seit gestern nacht im Atelier, kriegte keine Luft, keuchte und beschäftigte sich mit Sterben.
Cornelia hatte ein paar Tassen, Teller und Bestecke aus ihrem Koffer geholt, etwas zum Essen besorgt und den Tisch hübsch garniert. Sogar eine weiße Decke und ein Blumenstrauß waren vorrätig. Die Reiter sagte, sie gehe jetzt. Aber ehe sie es vergesse: Ob denn niemand wisse, wo der junge Labude wohne. Es war klar, daß sie nur deshalb gekommen war. Sie hatte gehofft, von ihrer Schulfreundin Fabians Adresse und durch Fabian Labudes Wohnung zu erfahren, da ihr das Personal der Grunewaldvilla keine Auskunft hatte geben können.
»Ich weiß, wo er wohnt«, meinte Fabian. »Außerdem hat er bis vor wenigen Minuten nebenan in meinem Zimmer gesessen. Die Adresse darf ich nicht sagen.«
»Er war hier?« rief die Bildhauerin. »Auf Wiedersehen!« Sie rannte davon.
»Ihr fehlt die Selow«, sagte Cornelia.
»Ihr fehlt die schlechte Behandlung«, sagte Fabian.
»Mir nicht.« Sie küßte ihn und zog ihn an den Tisch, daß er ihre Vorbereitungen zum Abendessen bewundere. »Gefällt dir das?« fragte
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