Der Gang vor die Hunde (German Edition)
sagte er. »Es kann sein, daß ich hier bleibe. Ich will arbeiten. Ich will mich betätigen. Ich will endlich ein Ziel vor Augen haben. Und wenn ich keines finde, erfinde ich eines. So geht es nicht weiter.«
»Zu meiner Zeit gab es das nicht«, behauptete sie. »Da war Geldverdienen ein Ziel, und Heiraten und Kinderkriegen.«
»Vielleicht gewöhne ich mich daran«, meinte er. »Wie sagst du immer?«
Sie hielt im Packen inne und sagte mit Nachdruck: »Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.«
Dreiundzwanzigstes Kapitel Pilsner Bier und Patriotismus – Türkisches Biedermeier – Fabian wird gratis behandelt
Gegen Abend ging Fabian in die Altstadt hinüber. Von der Brükke aus sah er die weltberühmten Gebäude wieder, die er, seit er denken konnte, kannte: das ehemalige Schloß, die ehemalige Königliche Oper, die ehemalige Hofkirche, alles war hier wunderbar und ehemalig. Der Mond rollte ganz langsam von der Spitze des Schloßturms zur Spitze des Kirchturms, als gleite er auf einem Draht. Die Terrasse, die sich am Flußufer erstreckte, war mit alten Bäumen und ehrwürdigen Museen bewachsen. Diese Stadt, ihr Leben und ihre Kultur befanden sich im Ruhestand. Das Panorama glich einem teuren Begräbnis.
Auf dem Altmarkt traf er Wenzkat. »Nächsten Freitag ist Klassenzusammenkunft im Ratskeller«, erzählte Wenzkat. »Bist du dann noch hier?«
»Ich hoffe«, sagte Fabian. »Wenn es irgend geht, erscheine ich.« Er wollte rasch weiter, aber der Andere lud ihn ein. Seine Frau sei seit vierzehn Tagen im Bad. Sie gingen zu Gaßmeier und tranken Pilsener.
Nach dem dritten Glas wurde Wenzkat politisch. »So geht das nicht weiter«, schimpfte er. »Ich bin im Stahlhelm. Das Abzeichen trage ich nicht. Ich kann mich, bei meiner Zivilpraxis, öffentlich nicht festlegen. Doch das ändert nichts an der Sache. Es gilt einen Verzweiflungskampf.«
»Zum Kampf kommt es gar nicht erst, wenn ihr anfangt«, sagte Fabian. »Es kommt gleich zur Verzweiflung.«
»Vielleicht hast du Recht«, rief Wenzkat und schlug auf die Tischplatte. »Dann gehen wir eben unter, kreuznochmal!«
»Ich weiß nicht, ob das dem ganzen Volk recht ist«, wandte Fabian ein. »Wo nehmt ihr die Dreistigkeit her, sechzig Millionen Menschen den Untergang zuzumuten, bloß weil ihr das Ehrgefühl von gekränkten Truthähnen habt und euch gern herumhaut?«
»So war es immer in der Weltgeschichte«, sagte Wenzkat entschieden und trank sein Glas leer.
»Und so sieht sie auch aus von vorn bis hinten, die Weltgeschichte!« rief Fabian. »Man schämt sich, dergleichen zu lesen, und man sollte sich schämen, den Kindern dergleichen einzutrichtern. Warum muß es immer so gemacht werden, wie es früher gemacht wurde? Wenn das konsequent geschehen wäre, säßen wir heute noch auf den Bäumen.«
»Du bist kein Patriot«, behauptete Wenzkat.
»Und du bist ein Hornochse«, sagte Fabian. »Das ist noch viel bedauerlicher.«
Dann tranken sie noch ein Bier und wechselten vorsichtshalber das Thema.
»Ich habe einen glänzenden Einfall«, meinte Wenzkat. »Wir gehen ein bißchen ins Bordell.«
»Gibt es denn so etwas noch? Ich denke, sie sind gesetzlich verboten.«
»Freilich«, sagte Wenzkat. »Verboten sind sie, aber es gibt noch welche. Das eine hat mit dem andern nichts zu tun. Du wirst dich amüsieren.«
»Ich denke gar nicht daran«, erklärte Fabian.
»Wir trinken eine Flasche Sekt mit den Mädchen. Das Übrige ist fakultativ. Sei nett. Komm mit. Gib gut auf mich acht, damit ich meiner Frau keinen Kummer mache.«
Das Haus lag in einer kleinen schmalen Gasse. Fabian erinnerte sich, als sie davor standen, daß hier die Offiziere der Garnison ihre Orgien gefeiert hatten. Das war zwanzig Jahre her. Das Haus sah unverändert aus. Wenn alles gutging, wohnten noch dieselben Mädchen drin. Wenzkat läutete. Im Haus näherten sich Schritte. Ein Auge blickte starr durchs Guckloch. Die Tür ging auf. Wenzkat sah sich besorgt um. Die Gasse war leer. Sie traten ein.
Sie gingen an einer alten Frau vorbei, die einen Gruß murmelte, und stiegen eine schmale hölzerne Treppe hinauf. Die Haushälterin erschien und sagte: »Guten Tag, Gustav, läßt du dich auch wieder mal bei uns blicken?«
»Flasche Sekt!« rief Wenzkat. »Ist die Lilly noch bei euch?«
»Nein, aber die Lotte. Ihr Hintern ist breit genug für dich. Nehmt Platz!«
Das Zimmer, in das sie geführt wurden, war sechseckig und in türkischem Biedermeier eingerichtet. Die Lampe gab rotes Licht. Die Wände
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