Der Gast: Roman
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Neal Darden saß allein im Auto und fuhr über Nebenstraßen, weil er den Robertson Boulevard meiden wollte. Er machte sich keine Sorgen wegen des Verkehrs; er befürchtete, grundlos erschossen zu werden.
Schließlich war es Nacht in Los Angeles.
Jeder konnte jederzeit erschossen werden, aber nachts war es besonders schlimm. Und viel befahrene Straßen wie der Robertson Boulevard erschienen Neal gefährlicher als Schleichwege, die sich durch ruhige Wohngegenden schlängelten.
Seine Theorie war einfach: Je weniger Autos in Sicht waren, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, einem Haufen schießwütiger Gangster zu begegnen.
Die beste Methode, am Leben zu bleiben, bestand darin, überhaupt nicht aus dem Haus zu gehen. Vor allem nachts nicht. Und schon gar nicht spät nachts. Doch so wollte er nicht leben. Er war erst achtundzwanzig Jahre alt, zu jung, um zu einem Einsiedler zu werden. Um der Sicherheit willen würde er ein paar Zugeständnisse machen – aber er würde sich nicht geschlagen geben und den Rest seines Lebens zu Hause bleiben.
Man ist vorsichtig und geht doch aus. Auch wenn man nur Filme zurück in die Videothek bringen will.
Die beiden Filme waren um Mitternacht fällig. Marta war länger als üblich geblieben und hatte sich in seinem Schlafzimmer für die Arbeit umgezogen, damit sie so viel Zeit wie möglich miteinander verbringen konnten. Als sie gegangen war und Neal die Bänder zurückgespult hatte, war es fast halb zwölf Uhr gewesen.
Noch reichlich Zeit, um die Videos pünktlich zurückzubringen.
Aber ein schlechter Zeitpunkt, um mit dem Auto auf den Straßen von Los Angeles unterwegs zu sein.
Neal hätte die Filme auch am nächsten Tag abgeben können. Das hätte einen Verspätungszuschlag gekostet. Fünf oder sechs Dollar, schätzte er. Eine geringe Summe, wenn man das Risiko betrachtete, sie zu dieser Nachtzeit zurückzubringen. Doch bis zum Morgen zu warten, hätte noch einen anderen Preis gekostet, einen Preis, den man in den Währungen Freiheit und Selbstachtung bezahlte.
Was muss man für eine Memme sein, um Angst zu haben, sechs oder sieben Kilometer zu fahren?, fragte er sich.
Marta, die am Flughafen Nachtschicht hatte, musste fast fünfzig Kilometer fahren, und das fünfmal in der Woche. Was würde sie denken, falls sie herausfände, dass Neal Angst hatte, die Videos zurückzubringen?
Sie würde es nie erfahren, sagte er sich.
Andererseits, wer weiß. Möglich war alles.
Eine rein hypothetische Frage, dachte er. Ich bringe sie heute Nacht zurück, auch wenn ich dabei draufgehen sollte.
Während er durch die leeren Straßen fuhr, schüttelte Neal den Kopf und lächelte. Er war mit sich selbst zufrieden. Er kam sich ziemlich mutig vor.
Statistisch gesehen war eine nächtliche Fahrt zu Video City nicht besonders gefährlich. Trotzdem würde ein vorsichtiger Mensch es bleiben lassen. Er ging ein unnötiges Risiko ein.
Wenn seine Mutter davon erführe, würde sie ausrasten.
Neal grinste in sich hinein.
Was für ein Abgang, dachte er. Ermordet, während er Wer Gewalt sät und Ich spuck auf dein Grab zurück in die Videothek brachte. Welch eine Ironie.
Er lachte leise.
Bis er den National Boulevard überquert hatte, war er nicht besonders nervös. Doch dann kam die Autobahnunterführung, und die verfehlte niemals ihre Wirkung. Sie war zu lang, zu einsam. Wenn er hindurchfuhr, fühlte er sich jedes Mal von der Welt abgeschnitten, verletzlich.
Er war schon oft bei Tageslicht hindurchgegangen.
Hatte dort unten verstörende Graffiti gesehen.
TOD DEN BULLEN
KILLT DIE WEISSEN
Er würde nur äußerst ungern den Typen begegnen, die diese netten Sprüche an die Wand gesprayt hatten. Er war kein Polizist. Aber er war weiß. Jeder, der Spaß daran hatte, so eine Scheiße zu schreiben, könnte durchaus auch versuchen, ihn zu ermorden.
Und so etwas wurde nachts gesprüht.
Er überlegte, ob er umdrehen sollte. Er könnte einfach wenden und über den National zum Venice Boulevard fahren. Die Unterführung umgehen. Die noch unheimlichere Gegend auf der anderen Seite meiden.
Doch als er sich der Unterführung näherte, sah er im Scheinwerferlicht, dass sie leer war. Ein breiter, öder Tunnel.
Nichts, wovor man sich fürchten musste.
Beim Hineinfahren trat er aufs Gas. Das Motorgeräusch schwoll an und hallte zwischen den Betonwänden wider. Auf beiden Seiten hatten Sprayer ihre Namen, Zeichen und Drohungen hinterlassen – ein Wirrwarr aus geheimen Chiffren, Symbolen und
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