Der Gast: Roman
eigentümlichen Schreibweisen. Er sah sie nicht zum ersten Mal, deshalb gab er sich keine Mühe, sie zu entziffern, sondern versuchte, sie zu ignorieren.
Ich hätte wirklich besser auf den Hauptstraßen bleiben sollen, dachte er. Das war dumm.
Er ließ die Unterführung hinter sich.
Auf beiden Seiten zogen sich Böschungen zum Highway hinauf. Im unteren Bereich waren sie dicht mit Büschen und Bäumen bewachsen. Dann kam der alte Bahnübergang. Seit Jahren unbenutzt. Überwuchert. Mit allem möglichen Müll übersät. Abgetrennt durch einen zerrissenen Maschendrahtzaun, der seine Funktion offensichtlich nicht mehr erfüllte.
Neal wollte nicht einmal daran denken , was für Leute dort herumlungerten.
Erst vor Kurzem war ein Polizist irgendwo in diesem seltsamen Streifen Wildnis ermordet worden. Mitten in der Nacht.
TOD DEN BULLEN
Er sah sich zu beiden Seiten um und konnte niemanden entdecken. Aber im Licht der Laternen schimmerte reichlich dichtes Blattwerk, in dem sich Legionen von irren Gangstern verbergen könnten.
Sein Wagen rumpelte über die Schienen.
Er musste eine weitere Entscheidung treffen.
Sollte er links in die Nebenstraße abbiegen oder geradeaus zum Venice Boulevard fahren? Wenn er hier nicht abbog, würde er auf der falschen Seite des Venice landen, gegenüber der Videothek. Außerdem würde er am Venice durch die Spur des Burger Boy fahren müssen, wo letzten Monat ein Jugendlicher ermordet worden war.
Er schüttelte den Kopf und seufzte.
Wahrscheinlich waren beide Wege gleich schlimm.
Über die Nebenstraße wäre es kürzer.
Sie war wegen der Bäume eng und dunkel und folgte einen halben Kilometer lang den einsamen Gleisen. Wo sich Gott weiß wer herumtreiben konnte. Wo der Polizist erschossen worden war.
Neal bog ab und gab Gas.
Zu seiner Linken die Wildnis. Zu seiner Rechten eine Reihe schäbiger Wohnhäuser.
Wenn man eine Panne hat, wird’s richtig lustig.
Sein Auto schien keine Schwierigkeiten zu machen.
Nächstes Mal, sagte er sich, fährst du einfach über den Robertson Boulevard und vergisst den ganzen Quatsch mit den Seitenstraßen.
Genau. Beim nächsten Mal würde er die verfluchten Videos einfach nicht mitten in der Nacht zurückbringen. Es war, als suchte er geradezu Ärger.
In Wirklichkeit machst du aus einer Maus einen Elefanten. Bete lieber, dass niemals jemand herausfindet, was für ein Waschlappen du bist.
Durch das offene Fenster drang mit der milden Nachtluft und dem Lärm der Autobahn der ferne, aber deutliche Schrei einer Frau. »Hiiilfe!«
Neals Magen verkrampfte sich.
Er sah nach links.
Einen Augenblick lang war seine Sicht durch einen Lieferwagen blockiert, der am Bordstein parkte.
Als er daran vorbei war, sah er den verwilderten Streifen unterhalb der Böschung. Er fuhr langsamer und starrte aus dem Fenster. In der Ferne rasten Autos und Laster über den Santa Monica Freeway. Er entdeckte niemanden, weder neben der Autobahn noch in dem Gestrüpp der Böschung und ebenfalls nicht in der Dunkelheit zwischen den Bäumen und großen Büschen, die den Fuß der Böschung entlang der Gleise verdeckten. Auch auf den Schienen selbst war niemand.
Er sah dort drüben kein Licht.
Der Schrei könnte von überall gekommen sein, sagte er sich. Er war einigermaßen daran gewöhnt, entfernte Schreie zu hören. Gelegentlich war er deswegen aus seiner Wohnung gegangen, hatte sich umgesehen und eine Weile gelauscht. Er nahm an, dass es sich in den meisten Fällen um herumblödelnde Kinder handelte.
»Nein!«
Neal bekam eine Gänsehaut.
Er fuhr nach links von der Straße, trat auf die Bremse, schaltete den Motor aus und riss den Schlüssel aus der Zündung. Dann klemmte er sich das Schlüsselmäppchen zwischen die Zähne und klappte das Fach der Mittelkonsole auf. Er wühlte darin herum, griff unter den Notizblock, das Portemonnaie mit Kleingeld und einen Stapel Servietten und schnappte sich seine Sig Sauer Kaliber .380.
Er dachte an das Reservemagazin. Irgendwo da drin. Er hatte keine Zeit, danach zu suchen.
Mit dem Schlüssel im Mund und der Pistole in der rechten Hand stieß er die Tür auf und sprang aus dem Wagen. Er lief zu einem Loch im Maschendrahtzaun, stieg geduckt hindurch und rannte zur Autobahnböschung, direkt dorthin, wo die Dunkelheit am tiefsten war.
Beim Laufen zog er das Lederetui aus dem Mund. Er schob es in eine der Vordertaschen seiner Shorts. Es schlug bei jedem Schritt gegen seinen Oberschenkel.
Die weiten grauen Shorts wirkten blass in
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