Susanne Barden 04 - Weite Wege
Es bedeutet nichts Gutes
Die orangefarbenen Vorhänge leuchteten im hellen Lampenlicht. Das ganze Zimmer duftete nach Lavendel. Im übrigen sah es unglaublich unordentlich darin aus. Vor der Tür stand ein offener Schrankkoffer und versperrte fast den Durchgang. Auf dem Fußboden waren Schachteln und Schuhe verstreut. Auf dem Bett lag inmitten von allerlei Kleidungsstücken ein Handkoffer, und auf den Stühlen türmten sich Unterwäsche und Krankenschwesternkleider. Als ein Untergrundbahnzug von Manhattan heraufbrauste, rüttelten die Fenster wie in Wut. Doch sobald der Zug vorüber war, wurde es wieder friedlich in dem kleinen Haus. Im Badezimmer rauschte Wasser. Unten im Wohnzimmer waren Stimmen und Tellerklappern zu hören. »Das müßte eigentlich genügen, Marianna«, sagte Kit.
»Ich denke auch«, antwortete Marianna, - »wenn nicht zu viel Männer kommen. Männer essen immer ‘ne Menge.«
»Es kommen nicht viele - höchstens zwei oder drei - und dann natürlich die Polizei.«
»Polente! Ist das hier ‘ne Gaunerparty?«
Kit lachte. »Dann müßten die Schwestern von Henry Street ja ein Doppelleben führen. Deine >Polente< besteht nur aus Sergeant O’Day. Der darf bei Susys Abschiedsfeier natürlich nicht fehlen. Sie ist ganz vernarrt in ihn.«
»Na ja, er hat sie ja auch damals vor dem betrunkenen Hausverwalter gerettet.« Nach kurzem Schweigen fügte Marianna hinzu: »Ich kann es immer noch nicht fassen, daß Susy heiraten will. Es wird mir ganz komisch vorkommen, wenn sie nicht mehr hier ist.«
»Ja, mir auch.« Kits Stimme klang ein wenig belegt. »Aber wir sind ja nicht für ewig getrennt. Wenn ich die Stellung in Winslow bekomme, kannst du dort die Schwesternschule besuchen. Und Winslow ist nur fünfzig Meilen von Springdale entfernt.«
»Ja, ich weiß, aber trotzdem ...«
»Wo steckt Susy denn nur?« rief Kit ablenkend. »Man hört ja gar nichts mehr von ihr.«
»Sie ist sicher im Bad.«
»Noch immer?« Kit wandte sich zur Treppe und fuhr mit lauter Stimme fort: »Sollen wir sie ‘rausschmeißen oder wollen wir sie einfach drinlassen und die Gäste im Badezimmer empfangen?«
»Du brauchst gar nicht so zu schreien«, ertönte Susys Stimme von oben. »Ich kann euch gut verstehen. Außerdem bin ich längst .«
»Mit einer Hand aus der Wanne, schätze ich, so daß du eigentlich schon fix und fertig bist.«
»Aber ich habe wirklich schon ...«
Tellerklirren und ein Aufschrei von Marianna machten der Unterhaltung ein Ende. Gleich darauf tauchte Susy, in ihren Morgenrock fahrend, mit feuchten Haaren aus dem Badezimmer auf und eilte zu ihrem Zimmer hinüber. Auf der Schwelle blieb sie einen Augenblick stehen und blickte seufzend umher. Dann stieg sie entschlossen über die auf dem Fußboden verstreuten Sachen, gelangte auf einem Umweg zu ihrem Frisiertisch und begann sich mit kräftigen Strichen die Haare zu bürsten. Nach einer Weile nahm sie die Bürste in die linke Hand und betrachtete sich kritisch im Spiegel. Als sie den Ring an ihrem Mittelfinger aufblitzen sah, lächelte sie. Waren wirklich erst zwei Wochen vergangen, seitdem sie krank und elend im Bett gelegen hatte und Bill ganz überraschend in der Tür aufgetaucht war? »Da sind all meine schönen Ideen, ein Leben für mich allein zu führen, mit einem Schlag zunichte geworden«, dachte sie bei sich.
Leicht war es ihr nicht gefallen, von Henry Street fortzugehen. Aber sobald sie sich erst einmal dazu entschlossen hatte, ihre so lange verteidigte Unabhängigkeit aufzugeben, hatte sie nichts anderes mehr im Kopf als die bevorstehende Hochzeit. »Kein Mensch soll mir vorwerfen, zweigleisig zu sein«, hatte sie einen Tag nach ihrem Abgang zu Kit gesagt. »Nachdem ich nun einmal zum Altar gestartet bin, will ich auch die Meisterschaft im Rennen machen.«
Als Susy leichte Schritte hörte, wandte sie sich um. An der Tür stand Kit. »Um Himmels willen, Susy, du bist ja noch immer nicht angezogen! Die Gäste werden gleich hier sein.« Verwundert sah sie sich im Zimmer um. »Was ist denn hier passiert? Hast du einen epileptischen Anfall gehabt? Oder hat Marianna dir geholfen?«
»Marianna hat mir geholfen. Hübsch, nicht?«
Kit lachte. »Und so was will Krankenschwester werden! Wie wird es ihr nur im Krankenhaus ergehen?«
»Ach, um Marianna mach ich mir keine Sorgen; ich zittere mehr um das Krankenhaus. Aber sie hat sich doch schon sehr gebessert und gibt sich alle Mühe. Ich hab sie - wer weiß wie lange - nicht mehr >Jemine!<
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