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Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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plötzlich ein Licht auf. Rain könnte konvertieren! Dann würde einer Heirat nichts mehr im Weg stehen.«
    »Hey, mir macht’s nichts aus, zum jüdischen Glauben überzutreten, wenn ich dadurch dem Rebbe das Leben leichter machen kann«, sagte Rain.
    »Ich hab immer gedacht, Juden müssen beschnitten sein«, sagte Shirley.
    »Aber nur die männlichen Exemplare, Babe«, klärte Dwayne sie auf.
    Shirley wirkte enttäuscht. »Da sieht man’s, gleich macht er wieder seinen Hosenstall auf und läßt seine Harvard-Bildung raushängen.«
    »Ich habe irgendwo gelesen, daß es Monate dauert, zum jüdischen Glauben überzutreten«, sagte ich dem Rebbe. »Und ihr Bus nach Brooklyn fährt in zwei Stunden.«
    Er sah mich mit einem triumphierenden Funkeln in seinen Glotzaugen an. »Sie haben wahrscheinlich die Geschichte vergessen, die ich Ihnen nach dem Institutsessen erzählt habe, die von Rebbe Hillel und dem Goi.«
    Er wandte sich Rain zu und befahl ihr, sich auf ein Bein zu stellen. Wortlos tat sie, wie ihr geheißen. »Sprechen Sie alles nach, was ich sage«, forderte er sie auf. »Was du nicht willst, daß man dir tu..«
    Rain, die mühelos auf einem Bein balancierte und die ganze Sache sehr ernst nahm, sagte leise: »Was du nicht willst, daß man dir tu.«
    »… das füg auch keinem andern zu.«
    »Das füg auch keinem andern zu.«
    »Das ist die ganze Thora«, erklärte der Rebbe feierlich. »Der Rest ist Kommentar.«
    Rain verarbeitete das mit einem nachdenklichen Nicken. »Ich verstehe. Darauf läuft die Thora hinaus. Alles andere ist Dekoration.«
    Shirley sah Dwayne an. »Also, ich versteh das nicht.«
    »Könnten Sie das noch mal sagen, zum Mitschreiben?« fragte Dwayne.
    »Ich habe ihr gerade den tiefsten Sinn der Thora nahegebracht«, sagte der Rebbe. »Für einen ultraorthodoxen Juden wie mich muß jemand mit einem so tiefen Verständnis der Thora wie Rain einfach Jude sein.«
    Sie sind zu taktvoll, um es auszusprechen, aber sicherlich fragen Sie sich schon die ganze Zeit, ob denn dieser Dope rauchende Rebbe wirklich an sein eigenes Blabla glaubt. Glaubt er wirklich, daß Unordnung der größte Luxus derer ist, die in geordneten Verhältnissen leben? Glaubt er wirklich, daß im tiefsten Innern der Thora das Chaos ist?
    Hey, machen Sie nicht den Fehler zu denken, Sie könnten einen Rebbe nach seinem Äußeren beurteilen. Ich mag den kleinen Kerl. Wir treffen uns ab und zu, und von Mal zu Mal sieht er noch mehr wie ein Messias aus. Ich weiß nicht so recht, woran es liegt, aber er ist gottähnlicher als wir andern alle zusammen. Kein Zweifel, wenn er einen dreiteiligen Anzug sieht, hält er Ausschau nach dem Schneider. Kein Zweifel, daß er Ihn auch entdeckt. Die Antwort auf Ihre unausgesprochenen Fragen lautet also in allen Fällen ja. Ich selbst halte es für durchaus möglich, daß der Rebbe ein Erleuchteter ist, jemand, der weint, ohne ein Geräusch zu machen, der tanzt, ohne sich zu bewegen, und sich verbeugt, ohne den Kopf zu neigen.
    Wo war ich?
    Wenn ich die Augen schließe, sehe ich wieder vor mir, wie der Rebbe die Hand ausstreckt und verlegen Rains Schulter berührt. Man sah, daß er den Körperkontakt genoß – er mag erleuchtet sein, aber ein Heiliger ist er nicht.
     
    »Da du Jüdin bist«, klärte er sie mit großem Ernst auf, »darfst du gemäß den Geboten, die Moses von Gott erhielt, einen Juden heiraten.«
    »Na dann nichts wie los«, sagte Rain fröhlich.
    Über seine Kontakte bei E-Z in Rochester hatte Dwayne sich eins dieser »Nonstops to the most Florida cities«-Plakate verschafft und es als eine Art Scherz für Eingeweihte an der Seite des Glockenspielturms aufgehängt. Rain und ich, eingerahmt von Dwayne und Shirley, stellten uns unter dem Plakat auf, dem Rebbe gegenüber. Ich spürte, wie sich Rain bei mir einhängte, wie ihre Brust sich an meinen Ellbogen drückte.
    Über uns fingen die Tauben, die zwischen den Glocken des Turms nisteten, laut zu gurren an. Ich stellte mir vor, daß sie auf einem Bein standen und darüber diskutierten, ob sich denn Vögel mit verschiedenen Federn zusammentun sollten.
    Der Rebbe holte zwei Scheitelkäppchen aus seiner Einkaufstasche und reichte sie Dwayne und mir. Mit einem Blick zum bedrohlichen Himmel – es sah aus, als würde jeden Moment ein Gewitter losbrechen –, sagte er: »Dann verzichten wir eben auf den traditionellen Baldachin, die Gewitterwolken sind Baldachin genug, und beschränken uns auf die verkürzte Form der Zeremonie,

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