Der Gastprofessor
breche in Tränen aus in Präsenz von Blumen oder Kälte.«
Die Frau im Fuchs und der Direktor vermeiden es, sich anzusehen. »Da müssen die Sommer ja die reine Hölle für Sie sein«, sagt der Fuchs in einer Sprache, die Lemuel für Serbokroatisch hält. »Die Winter natürlich auch, wenn man’s recht überlegt.«
Der Direktor wartet mit einer förmlichen Vorstellung auf. »D. J. Starbuck«, informiert er Lemuel, »liest Russische Literatur 404, an der Universität, wobei es hauptsächlich, aber nicht ausschließlich, um Tolstoi geht. Sie ist hier in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende der hiesigen Gesellschaft für sowjetischamerikanische Freundschaft.«
Lemuel beugt sich linkisch über die Hand des Fuchses und wendet murmelnd ein, es gebe keine Sowjets mehr.
In D. J.s Augen flackert Unmut auf. »Wir sind ja dabei, nach einem neuen Namen zu suchen«, räumt sie in ihrem gutturalen, serbokroatischen Russisch ein.
Der Direktor, dessen Name J. Alfred Goodacre lautet, drängt mit Handbewegungen zum Aufbruch. Ein Mann mit fensterscheibendicken Brillengläsern, ein Astrophysiker, der kosmische Arrhythmien erforscht, wird vorgestellt. »Sebastian Skarr, Lemuel Falk.« Skarr legt den Kopf in den Nacken und richtet seine Bemerkungen an eine ferne Galaxis mit einem unregelmäßig wabernden Pulsar im Mittelpunkt. »Ich war hingerissen von Falks Erkenntnissen über Entropie«, sagt er, beinahe so, als sei Falk nicht anwesend. »Ich war fasziniert von seiner Schilderung des unaufhaltsamen Abgleitens des Universums in die Unordnung. Ins Chaos.«
Ein älterer Mann tritt stolpernd vor und nimmt seine Pelzmütze ab, so daß sein kurzgeschorener grauer, flaumiger Schädel zum Vorschein kommt. »Ich bin Scharlie Atwater«, sagt er mit so schlampiger Aussprache der Konsonanten, daß Lemuel Mühe hat, ihn zu verstehen. »Wenn ich nüschtern bin, also an Wochentagen bis Mittag, beschäftige ich mich mit der Oberflächenspannung von Wasser, das ausch Hähnen tropft. Ihr Artikel über die Betschiehung zwischen dem determinischtischen Chaosch und der Pscheudo-Zufälligkeit, wie Schie es ausdrücken, hat mich umgehaun.«
Als nächste stellt sich eine gutaussehende Frau mittleren Alters vor, die mit einem spröden britischen Akzent spricht. »Matilda Birtwhistle. Ich züchte im vorsintflutlichen Labor des Instituts chaosbezogene Schneeflocken. Wir haben Ihre tour de force mit Pi verfolgt – daß Sie seine Dezimalerweiterung auf drei Milliarden, dreihundertdreißig Millionen Stellen berechnet haben. Ihre Formulierung, daß Pi, falls es wahrhaft zufallsgesteuert wäre, bisweilen geordnet erscheinen würde, fanden wir unglaublich elegant. Keiner von uns war bis dahin auf die Idee gekommen, daß zufällige Ordnung Bestandteil reiner Zufälligkeit sein könnte.« Sie läßt ein schwaches Lächeln aufblitzen. »Wir alle, der gesamte wissenschaftliche Stab des Instituts, schätzen uns glücklich, einen der hervorragendsten Zufallsforscher der westlichen Welt unter uns zu haben.«
Gerührt ergreift Lemuel Birtwhistles Hand und streift mit seinen aufgesprungenen Lippen den Rücken ihres handgestrickten tibetischen Handschuhs. Die Geste soll altehrwürdige Armut versinnbildlichen, im Gegensatz zur neueren, verschwitzteren, verzweifelteren Armut der proletarischen Massen. Lemuel richtet sich auf und räuspert sich, um ein nervöses Kratzen im Hals loszuwerden. Wenn es um abstrakte Ideen geht – so schmeichelt er sich gern –, kann er durchaus mit einem Einstein mithalten; im Umgang mit Menschen ist er hingegen weniger selbstbewußt und schnell eingeschüchtert. Daher sucht er auch jetzt Deckung hinter auswendig gelernten Phrasen: Er bitte sie alle, davon auszugehen, daß er hochbeglückt sei, als Gastprofessor an ihr Institut berufen worden zu sein, und ihm zu glauben, daß er darauf brenne, sich in dessen chaosbezogene Wasser zu stürzen.
Lemuel mustert die Gesichter seiner Gesprächspartner und überläßt sich einem köstlichen Wachtraum: Die schwedische Botschaft hat ihm mitgeteilt, daß ihm für seine bahnbrechenden Arbeiten auf dem Gebiet der reinen Zufälligkeit der Nobelpreis zugesprochen wurde. Großaufnahme vom Botschafter, der Schafpelzfäustlinge trägt. Schwenk auf einen Scheck über 380000 US-Dollar, während er diesen Lemuel aushändigt. In Sankt Petersburg würde man dafür auf dem schwarzen Markt rund 380 Millionen Rubel bekommen. Lemuel, saniert bis an sein Lebensende, saniert auch noch für sein ganzes nächstes Leben,
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