Der Gebirgspass
anerkannte: „Und wohin jetzt?“
„Irgendwo muß eine offene Tür zu den Triebwerken sein“, antwortete Oleg. „Dort dürfen wir aber nicht rein. Wir müssen die Treppe finden, die nach oben führt.“
„Wie gut du alles behalten hast“, sagte Marjana. Sie gingen weiter an den Wänden entlang.
„Hier gibt’s bestimmt viele nützliche Dinge“, sagte Dick. „Die Frage ist nur, wie wir sie nach Hause schleppen.“
„Und wenn hier doch die Toten umgehn?“ sagte Marjana.
„Hör schon auf, sonst hau ich dir eine runter“, schimpfte Dick.
„Aber ja, natürlich …“ Oleg blieb stehen.
„Was ist los, hast du was entdeckt?“
„Nein, aber mir ist ein Gedanke gekommen. Wenn wir die Enden der Leiter zurückbiegen, können wir sie mit Gegenständen beladen und hinter uns herziehn. Wie den Schlitten, den Sergejew gebaut hat.“
„Und ich dachte schon, du hättest einen Toten gesehn“, sagte Marjana.
„Das mit der Leiter hab ich mir auch schon überlegt“, stimmte Dick eilig zu.
„Hier ist die erste Tür“, sagte Oleg, „aber die interessiert uns nicht.“
„Ich schau trotzdem mal rein“, erwiderte Dick.
„Dort könnte es Strahlung geben“, sagte Oleg, „der Alte hat uns davor gewarnt.“
„Die kann mir nichts anhaben, ich bin stark“, prahlte Dick.
„Strahlung ist unsichtbar, das weißt du doch, du hast es im Unterricht gehört.“ Oleg ging, die Fackel dicht an die Wand haltend, weiter. Es war keine ebene Wand, hier gab es Nischen, freiliegende Schalttafeln mit allen möglichen Knöpfen oder kalt glänzenden Bildschirmen.
Thomas war Ingenieur gewesen, er hätte gewußt, was all diese Knöpfe bedeuteten und welche Macht sie bargen.
„Da haben sie nun so was Gewaltiges zusammengebaut“, sagte Dick, der sich mit dem Schiff noch immer nicht anfreunden konnte, „und sind trotzdem zu Bruch gegangen.“
„Dafür sind sie durch den Himmel geflogen“, erwiderte Marjana.
„Da ist die Tür“, sagte Oleg. „Von dort aus gelangen wir in die Wohnkabinen und zur Navigationszentrale.“
Die Worte „Navigationszentrale“ und „Steuerpult“ hatten geradezu etwas Beschwörendes an sich. Und nun würde er, Oleg, diese Zentrale gleich zu Gesicht bekommen.
„Weißt du noch die Nummer deines Zimmers?“ fragte Marjana.
„Kajüte heißt das“, berichtigte Oleg. „Natürlich weiß ich sie. Es war die vierundvierzig.“
„Mein Vater hat mich gebeten, unsere aufzusuchen und mich dort umzusehn. Wir hatten die hundertzehn. Du bist auf dem Schiff geboren, nicht wahr?“
Oleg gab keine Antwort, diese Frage erforderte keine. Seltsam war nur, daß Marjana an das gleiche dachte wie er. Es ist immer merkwürdig, wenn jemand, den man nicht für besonders klug hält, plötzlich genauso denkt wie man selbst.
Oleg schob die Tür zur Seite — und prallte zurück. Er hatte vergessen, daß die Havariebeleuchtung im Schiff noch funktionieren konnte, obwohl der Alte darauf aufmerksam gemacht hatte. Sie beruhte auf dem Prinzip der Fluoreszenz, wirkte also autonom aus sich heraus. Es gibt Farben, die ihre Leuchteigenschaft über viele Jahre erhalten, und mit diesen Farben waren einige Korridore und Navigationszentren des Schiffes gestrichen.
Das Licht kam von überall und nirgends und machte alles ringsum hell. Wenigstens so hell, daß die Fackeln gleichsam verloschen — ihr Schein war nutzlos und unsichtbar geworden.
„Oje“, sagte Marjana, „und wenn hier nun doch jemand lebt?“
„Gut, daß es hell ist“, erwiderte Oleg, „da können wir unsre Fackeln aufsparen.“
„Mir kommt’s auch gleich wärmer vor“, sagte Marjana.
„Das trügt“, sagte Oleg, „aber bestimmt werden wir ein paar warme Sachen finden. Und wir werden in einem Raum schlafen.“
„Nein“, entgegnete Dick, der ein wenig zurückgeblieben war und den hellen Korridor noch nicht betreten hatte, „ich werde nicht hier schlafen.“
„Aber warum denn?“
„Ich werde draußen im Schnee übernachten, dort ist es wärmer.“
Oleg verstand, daß der andere Angst hatte, die Nacht im Schiff zuzubringen, er aber, Oleg, wollte hier bleiben. Er fürchtete sich nicht vor dem Schiff. Furcht hatte er anfangs empfunden, als es noch überall dunkel war, doch jetzt … Es war sein Haus.
„Ich werde ebenfalls draußen schlafen“, sagte Marjana. „Im Schiff sind die Schatten der Menschen, die früher hier gelebt haben.“
Rechterhand führte die Wand des Korridors in eine Vertiefung und war von einem durchsichtigen Material begrenzt, das an eine dünne
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