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Der Gebirgspass

Der Gebirgspass

Titel: Der Gebirgspass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirill Bulytschow
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Wasserschicht erinnerte. Marjana fiel ein, daß dieser Stoff Glas genannt wurde. Dahinter aber befanden sich grüne Pflanzen. Mit kleinen, ebenfalls grünen Blättern, wie es sie in ihrem Wald nicht gab.
„Werden sie auch nicht nach uns schnappen?“ fragte Oleg.
„Aber nein“, antwortete Marjana, „sie sind erfroren. Außerdem sind die Pflanzen auf der Erde nicht bissig, oder hast du vergessen, was Tante Luisa uns über sie erzählt hat?“
„Ist doch unwichtig“, ließ sich Dick vernehmen, „gehen wir. Wir können schließlich nicht ewig hier herumspazieren. Und was ist, wenn’s nun auf dem Schiff doch nichts zu essen gibt?“
Merkwürdig, dachte Oleg, mir steht der Sinn im Augenblick überhaupt nicht nach Essen. Dabei hab ich eine Ewigkeit nichts zu mir genommen. Das müssen die Nerven sein.
Nach weiteren zehn Schritten erblickten sie erneut eine Nische, doch dort war das Glas zerbrochen. Marjana streckte die Hand aus, um die Pflanzen dahinter zu berühren.
„Das darfst du nicht!“ rief Dick.
„Ich weiß es besser“, erwiderte Marjana, „ich spüre sie. Und die hier sind tot.“ Sie berührte einen der Zweige, und seine Blätter zerfielen zu Staub.
„Schade, daß wir keine Samen von ihnen haben“, sagte Marjana, „wir würden sie bei uns in der Siedlung aussäen.“
„Das Wichtigste befindet sich rechts“, sagte Oleg, „dort sind die Lagerräume. Wir wollen nachsehn, was es dort gibt.“
Sie wandten sich nach rechts. Mitten im Korridor lag ein zerrissener, halb durchsichtiger Sack, aus dem mehrere Büchsen aus hellem, weißem Metall gerollt waren. Der Sack war offenbar entzweigegangen, als die Menschen panikartig das Schiff verließen.
    Es wurde ein eigentümliches, wundersames Mahl. Sie öffneten unzählige Büchsen — Dick mit dem Messer, Oleg dagegen erriet, daß man auch ohne Messer zurechtkam, indem man einfach auf den Büchsendeckel drückte. Sie kosteten nacheinander den Inhalt der Dosen und Tuben, und fast immer schmeckte es angenehm und fremd. Um die Büchsen tat es ihnen nicht mehr leid, denn es gab Kammern auf dem Schiff, die randvoll mit Kisten und riesigen Blechbehältern waren, in denen sich Millionen solcher Büchsen und anderer Lebensmittel befanden. Sie tranken Kondensmilch, und leider fehlte Thomas, denn nur er hätte ihnen sagen können, daß es welche war; sie schlangen Sprotten in sich hinein, ohne zu wissen, worum es sich handelte; sie drückten Konfitüre aus Tuben, obwohl sie ihnen zu süß war, kauten Mehl, ohne es zu kennen. Marjana war verlegen über die Unordnung, die sie überall und speziell auf dem Fußboden anrichteten. Freilich kamen ihr die Bedenken erst, nachdem sie sich sattgegessen hatten und nur noch Büchsen mit unbekanntem Inhalt öffneten. Solche, die sie bereits gekostet hatten, rührten sie nicht mehr an.
    Danach wurden sie schläfrig — es zog ihnen die Augen zu, als drückte alle Müdigkeit der letzten Tage auf ihre Schultern. Dennoch gelang es Oleg nicht, die Kameraden zum Übernachten im Schiff zu überreden. Die beiden gingen, und kaum daß ihre Schritte im Korridor verhallt waren, bekam Oleg erneut Angst. Er mußte alle Kraft aufbieten, um ihnen nicht hinterherzueilen. Vielleicht wäre er ihnen gefolgt, wäre er nicht so grenzenlos erschöpft gewesen. Er streckte sich, die leeren Konservendosen wegschiebend, auf dem Fußboden aus, und schlief mehrere Stunden durch, es war, als ob die Zeit hier, auf dem Schiff, stillstand, nicht faßbar sei. Oleg schlief traumlos, ohne beängstigende Gedanken, schlief tief und ruhig, viel ruhiger als Marjana oder Dick, der trotz seiner Müdigkeit im Laufe des Abends und der Nacht mehrmals aufwachte und lauschte, ob nicht von irgendwoher Gefahr drohe. Hellhörig schreckte dann auch Marjana hoch, die ihren Kopf auf seine Brust gelegt hatte. Sie hatten sich mit sämtlichen Decken und der Zeltplane zugedeckt und froren nicht, weil am Abend dichter Schnee gefallen war und einen schützenden Wall um sie herum bildete. Dick hörte im Schlaf das Rascheln der Schneeflocken, hörte den Wind gegen die Bordwand des Schiffes über ihnen schlagen und stellte mit Genugtuung fest, daß es schneite. Auf diese Weise würden ihnen die Tiere, die es hier möglicherweise gab, nicht nachspüren.
    Oleg erwachte früher als seine Kameraden, denn im Gegensatz zu ihnen fror er. Er hüpfte lange umher, um sich aufzuwärmen, dann aß er. Es war schon ein seltsames Gefühl, sich nicht immer fragen zu müssen, ob die Nahrung auch ausreiche

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