Der gefährliche Drache
dafür?«, fragte er unschuldig.
»Ganz bestimmt, und jetzt ist es voll. Lass uns das Thema wechseln, okay? Ist es wahr, dass jemand Calvins Krone gestohlen hat?«
Jinks verschluckte sich an seinem Riesling und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. Dann starrte er mich ungläubig an. »Du hast von der Krone gehört? Ich sag ja: Auf einem Mittelalterfest verbreiten sich Neuigkeiten im Nu.«
»Klingt ganz nach Finch. Also, stimmt es? Wurde die Krone gestohlen?«
»Sie wird vermisst«, sagte Jinks vorsichtig. »Ob sie gestohlen wurde oder einfach verlegt, wird sich noch herausstellen. Niemand hat in Cals Wohnmobil eingebrochen, also würde ich eher auf Verlegen tippen.«
»Wie kann Calvin seine Krone verlegt haben? Zumal sie mit den Juwelen seiner Mutter besetzt ist?«
»Bei meiner Treu«, sagte Jinks, dessen Augen sich vor Entzücken weiteten, »du bist wahrlich auf dem Laufenden.«
»Ich halte die Ohren offen«, sagte ich bescheiden, »und warte immer noch gespannt auf deine Antwort. Wie konnte Calvin etwas verlegen, was ihm so viel bedeutet?«
»Nach einer durchgezechten Nacht kann es einem leicht passieren, dass man etwas verlegt, was nicht direkt an den Körper festgebunden ist.« Jinks streckte sich seitlich aus, stützte den Kopf in die Hand und knabberte an einer Feige. »Heute Morgen, bevor die Kirmes öffnete, haben wir nach der Krone gesucht, sie aber nicht gefunden.«
»Du scheinst dir keine Sorgen deswegen zu machen.«
»Nein, das tue ich nicht.« Er steckte den Rest der Feige in den Mund. »Streiche und Schabernack gehören zum Campleben, Lori. Ich rechne fest damit, dass die Krone nächstes Wochenende wieder auftaucht, auf dem Kopf eines Ponys womöglich.«
»Glaubst du, dass der Unfall mit der Quintana auch auf einem Streich beruhte?«, fragte ich.
»Nein«, sagte er ernster. »Unsere Leute mögen zwar einen recht derben Humor haben, aber sie würden sich davor hüten, an den Geräten des Turnierplatzes herumzufummeln. Das ist zu gefährlich. Die Ursache für den Quintana-Unfall war zweifelsfrei ein defektes Seil.«
»Bist du dir da sicher? Hat es jemand nach dem Unfall untersucht?«
»Ja, natürlich. Edmond hat es zum Camp gebracht …«
» Edmond hat das Seil zurückgebracht?«, fiel ich ihm ins Wort.
»Sicher. Er ist unser Mädchen für alles. Es gehört zu seinem Job, den Turnierplatz nach der Show in Ordnung zu bringen. Als er fertig war, kam er mit dem Seil zum Camp, wo wir es gemeinsam in Augenschein nahmen.« Jinks’ Augen zogen sich zusammen, während er mich neugierig musterte. »Warum interessierst du dich so sehr für das Seil, Lori?«
»Ich bin mir nicht sicher«, sagte ich und ließ den Kopf sinken, um seinem durchdringenden Blick auszuweichen. »Mir scheint nur, dass Calvin seit der Kirmeseröffnung eine ungewöhnliche Pechsträhne hat.«
»Und du glaubst … was?«, fragte Jinks.
Ich nahm Harold le Rouges Messer aus der Scheide und schnitt eine Scheibe von dem Cheddarkäse ab.
»Lori«, sagte Jinks mit ungläubigem Ton, »du glaubst doch nicht etwa, dass jemand unseren geliebten Monarchen um die Ecke bringen will?«
Ich spürte, wie der ganze obere Teil meines Körpers errötete.
»Du warst bei einer Reihe von Unfällen dabei oder hast davon erfahren, und nun folgerst du daraus, dass ein … ein Thronanwärter versucht … Königsmord zu begehen?« Jinks rollte sich auf den Rücken und schüttete sich aus vor Lachen. »Läutet die Alarmglocken! Haltet die Augen offen! Schreit Zeter und Mordio! Niederträchtige Schurken haben es auf das Leben des Königs abgesehen!« Er lachte leise vor sich hin, bis er schließlich tief einatmete und amüsiert seufzte. »O Lori, du gehörst in meine Welt. Du hast genau die richtige Fantasie!«
Ich hob rasch den Kopf. »Ich fantasiere nicht!«, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Ich konnte nicht länger an mich halten. »Drei Stunden vor Eröffnung der Kirmes höre ich, wie jemand mit einer Handsäge hantiert – eine Person und eine Handsäge –, und kurz darauf werde ich Zeugin, wie ein Teil der Brüstung herabstürzt. Und zwar mitten in der Eröffnungszeremonie, als sich Calvin darauflehnt. Wenige Stunden später wird er um ein Haar von einem fliegenden Sandsack enthauptet, und als ich mir das Seil anschaue, sieht es so aus, als hätte jemand es zur Hälfte angeschnitten. In derselben Nacht verschwindet Calvins Krone, und am nächsten Morgen stellt man fest, dass jemand die Kanone manipuliert hat und … und …«
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