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Hundsvieh - Kriminalroman

Hundsvieh - Kriminalroman

Titel: Hundsvieh - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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1.
    April 1996

    Der Eisenbahnwaggon kommt aus der Dunkelheit des Tunnels heraus, ein Blinzeln, schon sind wir in schwindelerregender Höhe auf dem Landwasserviadukt. Der Zug, ein Geländer, darunter die gähnende Leere. Irgendwo im Nichts Felsbrocken, Wasser, Büsche und Wiesen. Ich sitze da und starre hinunter in den Abgrund. Tiefer als in solch ein Loch hier könnte ich kaum fallen.
    Vor einer Stunde bin ich in St. Moritz losgefahren. Schnellzug nach Chur mit Halt in Celerina, Samedan, Bergün, Filisur, Tiefencastel, Thusis und Reichenau. In jedem dieser Orte würde ich liebend gerne aussteigen, einen Tee trinken und dann gemütlich zurückfahren. Doch ich kann und darf nicht.
    Wie gelähmt starre ich in die Tiefe, zwischen den Pfeilern des mächtigen Bauwerks fließt weit unten der tosende Fluss. Einige japanische Touristen hinter mir lehnen sich mit ihren Fotoapparaten und Filmkameras weit aus dem Fenster. Aufregung macht sich breit. Das Viadukt muss abgelichtet werden, möglichst aus der nächsten Kurve heraus, damit zu Hause einige der roten Wagen auf dem Bild erscheinen. Könner bringen auch noch den Tunnelausgang mit aufs Bild. Die Rhätische Bahn, die ›Kleine Rote‹, wie die Schmalspurbahn von den Werbern liebe- und effektvoll genannt wird, ist ein Tourismusmagnet für Eisenbahnfreunde aus der ganzen Welt. Diese Strecke mit den imposanten Bauwerken müsste eigentlich UNESCO-Weltkulturerbe werden. Für mich ist dieser Zug das einzig mögliche Verkehrsmittel, das mich von A nach B bringt, von St. Moritz nach Chur, die Straße kommt für mich nicht infrage, denn ich kann und will mir keinen Wagen leisten. Und mit dem Fahrrad überqueren nur gestählte Fitnessapostel in einer Sinnkrise die Pässe, die aus meinem Tal herausführen.
    Knapp zwei Stunden Zugfahrt trennen St. Moritz von der Kantonshauptstadt Chur, in der mich das Unvermeidliche erwartet.
    Die Tür des Abteils geht auf. Der Imbisswagen.
    »Kaffee, Gipfel, Mineral, Sandwich!«
    Langsam rollt der Wagen auf mich zu. Professionelle Freundlichkeit in einem dunklen Gesicht. »Sie wünschen, Chef?«
    »Einen Tee bitte.«
    »Creme, Zucker, Lemon?«
    »Creme und Zucker.«
    Breitbeinig schenkt der Hochgebirgszugkellner ein. »Gipfel auch, Chef?« Lächelnd stellt er den Becher auf das Tischchen unter dem Fenster mit der fantastischen Landschaft und schaut mich erwartungsvoll an.
    »Kein Gipfel.«
    »Sandwich?« Der gibt wohl nie auf! »Käse, Schinken, Salami?«
    Genervt schüttle ich den Kopf.
    »Zigaretten?«
    Ein müdes Kopfschütteln. Irgendwann in einer fernen Vergangenheit, als alles noch so leicht schien, das Leben weit und verheißungsvoll vor mir lag, da rauchte ich. Nicht viel, eine Zigarette da, eine dort zu einem guten Kaffee oder einem Glas Wein. Mit einem Freund am Fluss, wir schauten dem Wasser nach und zogen den Rauch tief in uns hinein. Das Wasser trug unsere Träume und Wünsche in die Welt hinaus. Irgendwie glaubte ich, das Leben zu spüren.
    Unterdessen bin ich fast dreißig, das Leben hat mich manchmal leicht gestreift, doch richtig fassen konnte ich es nie. Ein Hauch von Ewigkeit flog vorbei, damals am Ganges in Indien, an den Ghats, den Treppen, die hinunter zum Wasser führten. In ihren langen Saris die Frauen, mit einem schlichten Tuch um den Bauch die Männer, so gingen sie langsam hinunter zum Fluss, übergaben ihre Opfergaben dem Wasser, führten dann die vorgeschriebenen rituellen Waschungen durch.
    In Indien, da spürte ich etwas, das sich wie ein Sinn anfühlte, eine tiefe Intensität. Seither ziehen die Tage und Wochen an mir vorbei, ziellos streife ich durch dieses Leben, in dem ich nicht wirklich angekommen bin und keine echte Herausforderung spüre.
    Der Mann zieht eine Schublade aus seinem kleinen Wagen.
    »Fisherman’s Friend vielleicht?«
    »Nein, danke.«
    Im Moment habe ich nicht sehr viel Geld, der Hunderter in meiner Tasche gehört nicht mal mir, er ist bloß geliehen, Mona wird ihn zu gegebener Zeit von mir zurückverlangen.
    Langsam lasse ich den Teebeutel kreisen, ziehe ihn, als ich glaube, die Brühe sei dunkel genug, aus dem Becher, Zucker, Creme, ein erster Schluck – eigentlich hätte ich es wissen müssen.
    »Ach, Mona, musste das wirklich sein?«
    Gedankenverloren schaue ich dem Mann nach, wie er mit seinem schwankenden Wagen im nächsten Abteil verschwindet.
    Einfach rausgeschmissen hat mich Mona heute Morgen, mir blieb gerade noch Zeit, um meine Reisetasche zu packen, schon standen wir beide an der

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