Der Gefangene von Zhamanak
Yur näherte sich an Steuerbord achteraus. Der Kapitän machte ein skeptisches Gesicht und sagte: »Sie haben vor, uns den Wind aus den Segeln zu nehmen, damit wir eine leichte Beute für sie sind.«
»Könntet Ihr nicht abfallen und dadurch einen gewissen Abstand gewinnen …«
»Terraner!« bellte der Kapitän. »Bei den sechs Brustwarzen Varzais, Ihr seid fürwahr der schrecklichste Wichtigtuer, der mir je untergekommen ist! Dazu ein blutiger Anfänger in der Seemannskunst und ein Unglücksbringer von höchstem Grade! Haltet endlich Eure Klappe! Ich weiß, was mein Schiff kann und was es nicht kann!«
Der Bug der Yur war jetzt auf gleicher Höhe mit dem Heck der Tarvezid. Ein Krishnaner brüllte durch ein Sprachrohr: »Dreht bei! Im Namen meines Herrn, des mächtigen Heshvavu Khorosh befehle ich euch, in den Wind zu schießen!«
»Oh, Mist!« rief Alicia. »Das ist Verar. Er ist der schlimmste von allen.«
»Was hat sie gesagt?« fragte der Kapitän. Alicia hatte englisch gesprochen.
»Es gab zwei Banden«, erklärte Mjipa. »Eine trachtete danach, Meisterin Dyckman in König Ainkhists Harem zu entführen; die andere wollte unseren Kopf. Die auf der Yur sind die letzteren.«
Farrá grunzte. »Halsabschneider von der Sorte machen sich gewöhnlich einen Spaß daraus, ihr Opfer erst zu quälen, bevor sie ihm den Garaus machen. Dieses Vergnügen kann ich ihnen rauben. Wenn Ihr mir Euer Schwert leiht und ihr zwei euch hinkniet und den Kopf vornüberbeugt, dann hacke ich ihn euch so blitzsauber und schnell ab, dass ich sie den Burschen gleich überreichen kann, wenn sie an Bord kommen. Ich verspreche euch, es wird gewiss nicht weh tun. Ein kurzer, rascher Hieb – wschtl –, und es ist ausgestanden.«
»Vielen Dank«, sagte Mjipa und umklammerte seinen Schwertgriff. »Wenn ich mein Schwert benutze, dann um andere Köpfe abzuschlagen als den meinen, das versichere ich Euch.«
Der Kapitän wandte sich ab und ging. Der Wind hatte inzwischen so stark aufgefrischt, dass Mjipa und Alicia sich an der Reling festhalten mussten, um nicht den Halt auf dem schwankenden Deck zu verlieren. Gischt schäumte über die Backbordseite des Decks. Mjipa sah, wie der Kapitän ein heftiges Wortgefecht mit dem Ersten Offizier und dem Oberbootsmann führte, aber das Tosen des Windes und der Wellen war zu laut, um zu verstehen, worum es ging.
Eine riesige Wolke, schwärzer als alle vorherigen, ballte sich an Steuerbord zusammen. Ein Blitz zuckte aus ihr hervor, erhellte für einen Sekundenbruchteil die düstere Szene, und dann vermischte sich das Rollen des Donners mit dem Tosen der entfesselten Elemente. Beide Schiffe schlingerten so heftig, dass ihre Besatzungen sich kaum noch über Deck bewegen konnten.
Der Kapitän hatte seine Diskussion beendet, und mehrere Seeleute tauchten aus den Ladeluken auf, beladen mit Enterhaken. Einer trug einen Armvoll Schwerter, die er an den Kapitän und die Offiziere weitergab.
»Wenigstens«, schrie Mjipa Alicia ins Ohr, »scheint er jetzt entschlossen zu sein, den Kampf aufzunehmen. Geh und hol Khostavorns Schwert aus der Kabine!«
»Warum? Du hast doch schon …«
»Nicht für mich – für dich! Vielleicht kannst du dem einen oder anderen von den Gangstern ein bisschen von der Füllung rausstochern.«
Als Alicia zur Tür des Deckhauses taumelte, erscholl erneut ein Ruf von der Yur: »Dreht bei, oder wir bohren euch in den Grund!«
Ein Seemann kroch langsam an der schräghängenden Rahe des Großsegels der Tarvezid hoch. Sich mit den Beinen festklammernd, löste er die Geitaue, die er eben noch festgezurrt hatte, und packte sie mit den Zähnen, so dass das Segel wieder seine volle Fläche bekam. Der Seemann war auf halbem Wege hinunter zum Vorderdeck, als ein erneuter Donnerschlag eine mörderische Bö ankündigte, die eine prasselnde Gischtwand über das Deck peitschte.
»Festhalten!« schrie Mjipa, als das Schiff so heftig krängte, dass die Backbordreling in die Fluten tauchte. Er glaubte, sie würden jeden Moment kentern. Als er nach achtern schaute, sah er, dass Doktor Isayin sich ebenfalls an der Reling festklammerte und seine Notizblätter zwischen den Zähnen hielt.
Das scharfe Krachen von berstendem Holz übertönte das Tosen des Windes. Begleitet vom peitschenden Knallen der zerreißenden Stage, brach der Hauptmast direkt über dem Mastfuß ab und donnerte, das Großsegel mit sich reißend, auf die Backbordreling. Zwar blieb das kleinere Besan unversehrt, aber der plötzliche
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