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Der geheime Auftrag des Jona von Judaea

Titel: Der geheime Auftrag des Jona von Judaea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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zweites Mal unbeobachtet in den Hof hinunterzuschleichen. Und rate mal, wer sich nachher direkt vor der Tür unseres gemeinsamen Schlafraumes auf seiner Matte ausstrecken wird? Kein anderer als Henoch oder irgendein anderer von Berechjas Handlangern.«
    »Damit magst du ja Recht haben...«, setzte Timon zu einer Erwiderung an.
    »Also wie sollen wir da flüchten?«, fiel Jona ihm ins Wort. »Willst du vielleicht aus dem Fenster oder hier vom Dach springen?« Er kam mit einem Satz auf die Beine und beugte sich zwischen zwei Zinnen über die Brüstung. »Na, dann schau doch mal hinunter. Bis zu dem felsigen Grund da unten am Ende der Mauer sind es mindestens zwanzig, wenn nicht sogar dreißig Ellen 16 . Wir würden uns die Knochen brechen und das Genick gleich mit dazu! Der Tod wäre uns gewiss!«
    »Wer sagt denn, dass ich hier von der Mauer springen will?«, entgegnete Timon. »Ich dachte mehr daran, dass wir uns ein Seil besorgen und uns damit aus dem Staub machen.«
    »Und wo willst du so ein Seil herbekommen?«
    »Hast du nicht gesehen, wie viele Stricke und Seile, die zum Festbinden der Kamellasten gebraucht werden, da unten bei den Stallungen aufgerollt liegen?«, fragte Timon zurück.
    »Doch, habe ich schon, und mit einem genügend langen Seil wäre es wirklich ein Kinderspiel«, räumte Jona ein. »Aber wie willst du das Kunststück fertig bringen, nicht nur unbemerkt aus dem Schlafraum, sondern auch noch an Berechjas Wachposten an der Treppe vorbeizukommen - und zwar einmal hinunter und dann mit dem Seil wieder herauf?«
    »Damit!«, antwortete Timon und hielt im nächsten Moment ein primitives Feldmesser in der erhobenen Hand.
    »Nein! Nicht mit mir!«, stieß Jona erschrocken hervor, als sein Blick auf die schartige Klinge fiel, die das milchige Licht des gerade aufgehenden Mondes einfing, und er wich zurück. »Ich schneide niemandem im Schlaf die Kehle durch!« Abrupt wandte er sich ab.
    »Warte!«, raunte Timon und hielt ihn rasch an der Schulter fest. »Habe ich was von Kehle durchschneiden gesagt?«
    »Nein, das nicht, aber...«
    »Spar dir dein Aber und hör dir erst mal in Ruhe an, was ich mir ausgedacht habe. Dann kannst du ja immer noch Nein sagen«, fiel Timon ihm ins Wort und zwang ihn mit sanftem Druck auf die Schulter, sich wieder mit ihm zu setzen. »Was ich vorhabe, geht ohne Blutvergießen - aber nur zu zweit!«
    »Also gut, ich höre«, sagte Jona kurz angebunden und verschränkte die Arme vor der Brust. Denn er glaubte nicht daran, dass Timon ihn zu überzeugen vermochte.
    Als dieser ihm nun seinen Plan darlegte, verlor Jona jedoch schnell seine ablehnende Haltung und anfängliche Skepsis, ob eine Flucht aus der gut gesicherten Karawanserei überhaupt möglich sei - und dann auch noch ohne Blutvergießen. Schnell begeisterte er sich für das, was Timon ihm vorschlug. Dass sie nicht nur ein gutes Quäntchen Glück brauchten, sondern auch keinen einzigen Fehler machen durften, dieses Risiko akzeptierte er.
    Es gab schließlich nur noch zwei Punkte, über die sie sich uneins waren, nämlich wer von ihnen die gefährliche Kletterpartie wagen und wer nach Ausschaltung der Wachen die Aufgabe übernehmen sollte, in den Hof hinunterzuschleichen und unbemerkt ein langes Seil zu beschaffen.
    Als Timon mit dem Argument, nun mal der Ältere von ihnen zu sein, darauf bestand, die Entscheidung zu treffen, setzte sich Jona energisch zur Wehr.
    »Kommt nicht infrage, dass du einfach bestimmst, wer hier was macht! Ich bin für diese Aufgaben genauso gut geeignet wie du! Wir sind beide gleich groß«, hielt Jona ihm vor. »Und an Kräften stehe ich dir auch nicht nach!«
    »Also gut, dann lassen wir eben das Los entscheiden!«, sagte Timon schließlich, als keiner von ihnen nachgeben wollte, und zog eine Münze hervor. Es handelte sich um einen Schekel, eine tyrische Münze, die auch Tetradrachme genannt wurde. Dieser Schekel war die einzige Münze, mit der man in Jerusalem im Tempel die Tempelsteuer bezahlen und Opfertiere kaufen durfte. Sie zeigte auf der Vorderseite die Büste des Melkart 17 mit Lorbeerkranz und auf der Rückseite einen Adler und das Namenszeichen von Tyrus.
    »Kopf oder Adler?«
    »Adler!«, wählte Jona.
    »Wessen Seite oben liegt, der übernimmt die Kletterpartie - einverstanden?«
    Jona nickte.
    Timon schnippte die Münze in die Luft, fing sie mit der Rechten geschickt auf und klatschte sie auf seinen linken Handrücken. Er hielt das Geldstück noch für einen kurzen Moment bedeckt.

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