Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
machen würde. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr.
Er hielt unwillkürlich den Atem an, als er Timons Mantelrolle hob und Henoch für ein, zwei Sekunden die Möglichkeit hatte, einen gellenden Schrei auszustoßen und damit nicht nur jeden im Raum zu wecken, sondern auch Michaja, Berechjas Wachposten an der Treppe, zu alarmieren.
Der Aufseher gab jedoch keinen Laut von sich, auch nicht als Jona ihm im nächsten Augenblick einen Knebel verpasste. Er benützte dafür nicht wie geplant Timons Kopftuch, sondern das des Aufsehers, lag es mit der Kordel doch gleich neben dessen Kopf. Timon würde sein eigenes Tuch in der sommerlichen Sonnenglut dringend brauchen!
Als er sich davon überzeugt hatte, dass der Knebel saß, hielt Timon ihm auch schon wortlos das Messer hin, das er Henoch aus dem Gürtel gezogen hatte. Dann erinnerte er ihren Gefangenen erneut daran, was ihm drohte, wenn er nicht still und reglos liegen blieb. Dabei ließ er die Spitze der Messerklinge über Henochs Kehle wandern, langsam und mit spürbarem Druck gegen die sich spannende Haut.
Jona schnitt indessen den Mantel des Aufsehers in lange Streifen. Er versuchte, das scharfe Geräusch reißenden Stoffes so gut wie möglich in seinem Schoß zu dämpfen. Dennoch fürchtete er, jeden Moment könnte jemand davon aus dem Schlaf geholt werden und fragen, was da an der Tür vor sich ging.
Es blieb jedoch still.
»Ich verpasse ihm von dem Rest auch noch eine Augenbinde!«, flüsterte Jona seinem Gefährten zu, als er Hände und Füße des Aufsehers gefesselt und ihn dann an den Beinen von der Tür weggezogen hatte.
Timon grinste ihn im Dunkeln an. »Gute Idee!« Und zu Henoch hinuntergebeugt, sagte er, als Jona dem Mann die restlichen Stoffstreifen als Augenbinde um den Kopf wickelte: »Einer von uns wird dich die ganze Zeit im Blick behalten. Wenn du versuchst, dich von deinen Fesseln zu befreien, oder sonst was anstellst, um Aufmerksamkeit zu erregen, fließt dein Blut!«
Jona bückte sich nach dem Steinkrug, der in der anderen Ecke bei der Tür gestanden hatte, und nahm einen kräftigen Schluck. Der erste Teil ihres Fluchtplanes war gelungen. Jetzt musste der zweite Aufpasser außer Gefecht gesetzt werden, wenn sie an ein Seil herankommen wollten. Denn ohne Seil gab es für sie aus dem Geviert kein Entkommen.
Auch Timon trank aus dem Krug, den bescheidenen Rest schüttete er sich über das verschwitzte Gesicht. Dann stopfte er sein Kopftuch in das Steingefäß, griff zu seiner Kordel und band sie so um den Henkel, dass er sich den Krug um den Hals hängen konnte. Und damit er nicht frei hin und her schwang, zwängte er den Krug durch den Brustausschnitt unter seine Tunika und schob sich das steinerne Gefäß auf den Rücken.
Jetzt war es an der Zeit, den zweiten Teil ihres Fluchtplanes in Angriff zu nehmen. Und dieser war mit erheblich größeren Gefahren und Risiken verbunden als die Überrumpelung eines schlafenden Aufsehers wie Henoch!
5
Sie hockten in der Ecke, steckten die Köpfe zusammen und gingen den Ablauf des nächsten Wagnisses noch einmal leise durch. Ein Wagnis, wie es nur jemand auf sich nahm, der lebenslängliche Sklaverei vor Augen hatte und dem die Freiheit mehr als alles andere bedeutete!
»Du zählst bis fünfzig, sowie du meinen Vogelruf hörst. Das verschafft mir Zeit genug, um mich in Position zu bringen. Dann kommst du auf den Gang hinaus und spielst deine Rolle«, sagte Timon am Schluss der kurzen Unterredung. »Und es könnte nicht schaden, wenn du Henoch in der Zwischenzeit ab und zu mit der Klinge am Hals kitzelst, damit er nicht auf dumme Gedanken kommt.«
Jona nickte. »Mit Vergnügen. Und du pass gut auf dich auf!«
Timon grinste schief, war ihm doch reichlich mulmig zumute, als es nun daran ging, seine Kletterkünste und Nervenstärke unter Beweis zu stellen. »Ich weiß, dass ich keine Flügel habe!«
»Und wenn du keinen Halt findest, kommst du zurück!«, schärfte Jona ihm eindringlich ein. »Notfalls versuchen wir, Michaja auf andere Weise zu überwältigen!«
»Meinst du, ich hätte mich auf die Kletterpartie eingelassen, wenn es eine Alternative gäbe, die auch nur halbwegs Aussicht auf Erfolg hätte?«, erwiderte Timon trocken und schüttelte den Kopf. »Nein, das ist unsere einzige Chance!« Und ohne eine Antwort abzuwarten, schlich er davon.
Mit einem äußerst flauen Gefühl im Magen beobachtete Jona, wie Timon Augenblicke später in die Fensteröffnung ihres Quartiers kletterte und sich ordentlich
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