Der geheime Basar
Wobei sie sagte: «Du bist zu hübsch!» Dann ging sie, um den Kater zu suchen, und ich schlüpfte wieder in Jeans und T-Shirt und eilte ihr nach.
Sie verstellte die Rollläden im Salon, ließ Lichtfäden durch die Schlitze hereinflimmern und setzte sich schnell eine dunkle Sonnenbrille mit dickem braunem Rahmen auf, in dem orangefarbene Sprenkel aufblitzten, eine Reminiszenz an den Star von einst. Die Sängerin, die Filmschauspielerin, jederzeit bereit, sich die Straße zurückzuerobern, dachte ich, wartet nur auf den Applaus. Die langen Beine übereinandergeschlagen, der Rücken kerzengerade, so ließ sie sich im Fernsehsessel nieder und wechselte in ihrem roten Kleid immer wieder die Stellung. Eine gepflegte Frisur trug sie und delikate Schminke, mindestens vier Ringe an der Hand und eine Halskette. «Wie geht es eurer Lagune?», fragte sie höflich.
«Überlebt», antwortete ich.
«Warum sollte sie denn auch nicht?», fragte sie verwundert.
«Die Erderwärmung, die Luftverschmutzung, Verschmutzung der Wasserressourcen, illegale Schifffahrt, illegale Fischerei, Motorboote, Gasboote, ach ja, und auch noch eine Straße, die uns die Regierung mitten durchs Naturschutzgebiet planiert.»
Sie blickte mich leicht erschüttert an. Sicher befürchtet sie, dass ich etwas seltsam bin, dachte ich. Dann goss sie Kräutertee auf. «Also bist du zu deinem Glück endlich in die Stadt gezogen», rief sie aus der Küche. «Nicht leicht, so eine Kindheit in Anzali, zweifellos.»
«Mir hat es dort aber eigentlich schon gefallen», antwortete ich vorsichtig im Bemühen, nicht direkt auszusprechen, dass sie sich täuschte. Sie kam mit zwei dampfenden Teegläsern zurück und wartete darauf, dass ich etwas erzählte. Also fragte ich: «Hast du gehört, dass die Amerikaner Schneeflocken am Nordpol des Mars entdeckt haben? In einem Gebiet, in dem die Sonne nur vier Stunden am Tag scheint.»
«Interessant», sagte sie gelangweilt.
«Das heißt, dass es Leben auf dem Mars gibt, eventuell», versuchte ich, sie zu begeistern.
«Ich bin mehr der Typ des klassischen Europas», entschuldigte sie sich.
Mein Blick wurde von einem kleinen Bild angezogen, das in der Bonbonschale lag. Zahra und Arian, zwei linkische Kinder am Strand – ein Mädchen, in das ich mich sicher verliebt hätte und das mich bestimmt mit irreführender Wärme auf Distanz gehalten hätte; ein Knabe, der mein Freund geworden wäre. Wie gerne hätte ich so einen ruhigen und glücklichen Freund gehabt. Sie blickten mit neugierigen, weit geöffneten Augen in die Kamera, als wollten sie vor lauter Glück nichts anderes wissen, als welche schönen Überraschungen und aufregende Abenteuer die Zukunft für sie bereithielte. Ich kroch in diese Blicke hinein, die nicht wussten, was sie hinter der nächsten Ecke erwartete. «Das ist in Abadan», seufzte Zahra, «dort haben wir gewohnt. Das Abadan der berühmten Nachtclubs mit den bunten Lichtern, den teuren Hotels und Ballsälen und einem internationalen Flughafen, der nie ruhte, weder bei Tag noch bei Nacht. Öl floss aus den Hähnen von Abadan in jenen Tagen. Und die Picknicks, wenn wir uns an den Wochenenden an den Fluss flüchteten, was für Picknicks wir dort gemacht haben. Doch Hunderttausende wurden getötet, was gelten da ich und mein Kummer? Alles verschwunden und vom Erdboden verschluckt.» Sie wandte sich dem Regal mit den Fotoalben zu, hoffend, ich würde sie mit Fragen bombardieren, doch ich sagte kaum etwas. Es gelang mir nicht, die passenden Worte zu finden, ich fürchtete, sie in Verlegenheit zu bringen, und ich war auch nicht sicher, ob ich ihren wechselnden Stimmungen zu folgen vermochte, verstehen könnte, was erlaubt und was verboten war. «Abadan ist ganz und gar zerstört worden, die Stadt, die wir geliebt haben, wurde im Krieg spurlos ausgelöscht. Wir sind noch davor weggegangen, ein Jahr, bevor die Kämpfe ausbrachen», erklärte sie in entschuldigendem Ton, «und wir sind nie zurückgekehrt.» Sie zog einen weißen Ordner heraus, der unter einem Haufen farbig verzierter Fotoalben begraben lag, länger und staubiger als die anderen, und ausschließlich Zeitungsausschnitte in alten Klarsichthüllen enthielt. «Schau, Kami, hier hat es für mich geendet. 20. August 1978. Mein fünfundzwanzigster Geburtstag. Arian kam von einer Geschäftsreise nach London zurück. Ich war überzeugt, dass ich eine stärkere Sehnsucht als damals nie mehr verspüren könnte. Mit jedem Tag, der verging, war die
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